»It’s a Big Book!«
Simon »Woody« Wood über sein Buchprojekt »The Ultimate Sneaker Book«
Simon »Woody« Wood ist Gründer und Herausgeber des Sneaker Freaker Magazins, dem OG unter den Sneaker Magazinen, das seit über 16 Jahren unabhängig und informativ den Kult rund um Turnschuhe dokumentiert. Er entstammt der Zeit, in der man sich in Internet-Foren austauschte und Sneakers auf eBay jagte, einer Zeit vor Instagram, Facebook & Co., und hat die Veränderungen in der Szene in den letzten Jahren hautnah miterlebt. Aus dem Fanzine von damals ist inzwischen eine globale Marke geworden, die von Melbourne aus in über 50 Ländern veröffentlicht und noch immer große – wenn nicht die größte – Relevanz hat, nicht nur online. Diese »Vom Turnschuhnerd zum (Follower-) Millionär«-Erfolgsstory ist beeindruckend und stellt das Ausmaß der weltweiten Faszination für Sneakers unter Beweis.
Wir nennen es Faszination, Woody jedoch gesteht ein gewisses Maß an Besessenheit ein, wenn er von sich und seinem Team spricht. Und wir geben zu, um mehr als 650 Seiten mit so vielen spannenden Geschichten aus den letzten 15 Jahren sowie Interviews, Essays, Rezensionen, Diskussionen zu füllen und ganze 5 Jahre lang an der Perfektionierung zu arbeiten, muss man ein kleines bisschen irre sein. Aber wir lieben diese Art von Wahnsinn, denn wir sind auch nicht besser. Das »Ultimate Sneaker Book« ist die Bibel unter den Sneakerbüchern, zählt bereits jetzt als Standardwerk und hat seit der ersten Ankündigung schon ziemlich für Furore gesorgt.
Wir durften dem Sneaker Freaker Boss einige Fragen stellen und haben mit ihm über die guten alten Zeiten, die gleichermaßen guten heutigen Zeiten, Hypes und Anti-Hypes und natürlich das Buch gesprochen.
HHV: Fun Fact: Sneaker Freaker startete 2002, HHV auch. Lass uns doch gemeinsam ein wenig in Nostalgie schwelgen: Was sind deine schönsten Erinnerungen aus den »guten alten Zeiten«?
Simon »Woody« Wood: Mit dem Älterwerden – und davor sind auch Millenials nicht gefeit – kommt dieses natürliche Verlangen nach Einfachheit. Alles scheint sich immer schneller und schneller zu drehen, es wird chaotischer. Eines der Dinge, die ich aus der Sneakerszene der 1990er Jahre vermisse, ist die Kunst des zufälligen Entdeckens. Importierte Ausgaben des Boon Magazins oder The Face durchzublättern, und darin dann die Anzeigen für den neuen Presto oder Spiridon zum ersten Mal zu sehen – das war cool! Manchmal ist die Vorfreude eben am Schönsten und oftmals erfüllender als das Kaufen selbst. Nach Tokyo und New York zu fliegen, dort in Läden zu gehen und Sneakers zu kaufen, von denen ich nicht einmal wusste, dass sie existierten, als ich durch die Tür ging. Fühlt sich an, als wäre all das vor Urzeiten gewesen. Andererseits ist die heutige Sneakerszene so viel reicher und actiongeladener. Kein Vergleich zu damals. Und wer will denn schon ernsthaft wieder zurück zum ISDN-Modem und dem 20-Zoll Röhrenfernseher?
HHV: Welche Art von Musik definiert dich in Teenagertagen? Und heute als Erwachsener?
Woody: Als ich ein Teenager war, war jede Form von Metal voll mein Ding, danach ging es mehr in Richtung Grunge und Electronic Noise. Als ich Mitte der Neunziger in London lebte, eröffnete sich mir die Welt von MoWax, Breakbeat und illegalen Raves. Ich besitze immer noch Hunderte von alten 12 Inch Platten, die aus heutiger Sicht fast schon schwere Kost sind, aber meine Vinylsammlung ist eh querbeet. Die letzten fünf Platten, die ich gekauft habe, waren von Fourtet, Sharon Van Etten, Jon Hopkins und der Soundtrack von Wild Wild Country.
HHV: Print ist nicht tot. Richtig?
Woody: 100%! Print ist definitiv nicht tot und Sneaker Freaker ist der Inbegriff dieses Statements. Allein im vergangenen Jahr haben wir fantastische Bücher für New Balance über ihre Modelle 997 und 574 herausgebracht. Außerdem haben wir ein Reebok »90s Running« Buch gemacht und vor Kurzem ein wuchtiges Magazin über den Insta Pump Fury veröffentlicht. Schmeiß‘ das »Ultimate Sneaker Book« dazu, das wir mit dem TASCHEN Verlag produziert haben, und schon kommt einiges an Printerzeugnissen zusammen in 12 Monaten.
Ich bin zuversichtlich, dass die aktuelle Generation von Kids irgendwann begreifen wird, dass es mehr in dieser Welt gibt, als das, was sie in ihren Handys sehen. Bücher und Magazine erschaffen Erinnerungen fürs Leben und sind wichtige Informationsquellen. Memes und Insta-Posts haben eine Lebensdauer von einem Tag, höchstens zwei und manchmal sogar nur wenige Sekunden. Wenn Marketingbosse Printmedien noch immer ihren wahren Wert beimessen würden, hätten wir viele Magazine erhalten können, die es bedauerlicherweise nicht mehr gibt. Es ist irrwitzig, wieviel Geld heutzutage für schmalzige Influencer, faule Instagram-Kampagnen und super teure Launch-Events ausgegeben wird, die offizieller Werbung dienen. Ich sage nicht, dass diese Konzepte keinerlei Wert haben, nur, dass dabei eben kaum Raum mehr für Print bleibt.
HHV: Die Sneakerszene hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten ohne Zweifel stark verändert. Wie haben sich diese Veränderungen auf Sneaker Freaker ausgewirkt?
Woody: Wir mussten damals, als wir anfingen, noch unser eigenes Veröffentlichungstool bauen, denn es gab noch kein WordPress. Facebook und Instagram waren auch noch nicht auf dem Plan. Sneakers konnte man online – wenn überhaupt – nur auf eBay kaufen. Die Technologie war schon ziemlich basic in den frühen 2000er Jahren, aber das brachte auch den Vorteil, dass prinzipiell jeder einfach einen Blog starten konnte und die realistische Chance hatte, das Ding groß aufzuziehen, so wie zum Beispiel HighSnob und Hypebeast. Inzwischen haben die großen Firmen übernommen. Wenn du keine 20 Top-Mitarbeiter hast, Spezialisten aus den Beriechen SEO, Social Media, Content Strategie, Affiliate Marketing, Google Ads und so weiter und so fort, dann kannst du nicht mithalten. Es braucht sehr viel Geld, Teamwork und Wissen, um ein solches Team aufzubauen. Und du brauchst ein Businessmodell, um das Ganze am Laufen zu halten. Ständige Weiterentwicklung ist essenziell.
Das Sneaker Retail Business hat sich ebenfalls komplett verändert. Läden wie JD, Size? Und Sneakersnstuff sind jetzt multinationale Kolosse. Professionelle Reseller steuern den sekundären Markt und Social Media Leaker wie YEEZY MAFIA sind unglaublich einflussreich. Der Sneakermarkt ist ein ausuferndes, außer Kontrolle geratenes Biest, das alles auffrisst. Ich bin nicht sicher, wohin das führt, aber es bleibt definitiv spannend, dabei zuzusehen, was als Nächstes passiert.
HHV: Wie ist es SF gelungen, in all den Jahren über den gegensätzlichen Meinungen und beinahe wissenschaftlichen Disputen zwischen der älteren und jüngeren Generation von Sneakerheads zu stehen, ohne dabei an Beliebtheit und Authentizität einzubüßen?
Woody: Der Kulturkonflikt zwischen den Generationen ist eigentlich relativ gemäßigt in der Sneakerwelt. Im Grunde verabschiedet sich die OG Crew langsam aber sicher aus dem Rummel, denn die meisten haben Kinder, Kredite und gesunden Menschenverstand. Die neue Generation ist ganz anders als die alte. Ich bin froh, dass sie viele der Dinge, die ich liebe, ablehnen. Sie sollten ihre eigenen Erinnerungen erschaffen, anstatt die recycelten Träume meiner Generation zu leben. In Sachen Content haben wir uns immer bemüht, beide Lager glücklich zu machen. Wenn Neulinge und OG Heads feiern und schätzen, was wir auf all unseren Kanälen verbreiten, machen wir wohl nicht viel falsch, denke ich.
HHV: Glückwunsch zum Buch »The Ultimate Sneaker Book« – Es hat bereits jetzt den Status der Bibel aller Sneakerbücher erreicht und ist ein wunderschönes Projekt geworden. Stand das Buch schon immer auf deiner Bucket List?
Woody: Danke für die netten Worte. Das Buch war nicht spezifisch auf meiner Bucket List, aber von Tag eins des Projekts an, war für mich klar, dass ich etwas Bahnbrechendes machen wollte. Die Leute sind geschockt, wenn ich ihnen ein Exemplar in die Hand drücke, denn es wiegt mehr als 4 kg. Es ist ein großes Buch!
Das »Ultimate Sneaker Book« begann eigentlich als Projekt, um das zehnjährige Bestehen des Magazins zu feiern. Fünf Jahre später war es erst fertig, also kann man sich eine Vorstellung davon machen, wie viel Arbeit da drinsteckt. Wenn man bedenkt, dass es fast 700 Seiten sind und ich mich mit jedem Bild und jedem Wort gequält habe, kann man sehen, warum es so lange gedauert hat. Allein die Recherche war schon verrückt. In der letzten Produktionswoche habe ich immer noch Schuhe gekauft und geliehen, für den letzten Schliff. Nur das Korrekturlesen allein hat mehrere Wochen in Anspruch genommen. So oft wollte ich aufgeben, aber dann musste ich die Zähne zusammenbeißen und einfach weitermachen, bis zum bitteren/triumphalen Ende. So ein Buch machst du nicht einfach so, nicht ohne absolut besessen zu sein. Shout out an Tim Daws und Dan Purnell an dieser Stelle, die beide so viel Wertvolles dazu beigetragen haben.
HHV: Wer ist aus deiner Sicht eine echte Ikone in der Sneakerwelt?
Woody: Das Buch beantwortet diese Frage in über 700 prall gefüllten Seiten, aber wenn ich spontan eine schnelle Liste im Kopf zusammenstelle, komme ich auf Tinker Hatfield, Phil Knight, Mr. Onitsuka, Bobbito Garcia, Chuck Taylor, Michael Jordan, Jim Davis, Adi Dassler, Steven Smith, Kanye West und Sinisa Egelja. Dieses Buch ist allen »Shoe Dogs« da draußen gewidmet, die die Szene zu der gemacht haben, die sie heute ist.
HHV: Welchen Sneaker oder Trend wird man an dir niemals sehen?
Woody: Ich bin zwar noch nicht soweit, in den Puschen meines Opas in den Ruhestand zu gehen, aber mir ist sehr wohl bewusst, dass es einige Modelle gibt, von denen ein Mann meines Alters besser die Finger lassen sollte. Ja, dich meine ich Air Max 720. Und dich, Triple S. Tolle Designs, ohne Frage, aber ich könnte mich niemals in so etwas blicken lassen.
Mehr Infos zum Buch »The Ultimate Sneaker Book« findest du hier: www.hhv.de/shop/de/simon-wood-sneaker-freaker-the-ultimate-sneaker-book
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