Questlove’s »Mixtape Potluck«
30 Jahre schöpferisch am Puls der Zeit
Text: Thorben Kaiser
Vom Bucket Drummer an der Straßenecke zum weltweit respektierten Kenner der Musik und Kulinarik in 30 spannenden Jahren. Questlove’s Leben am Puls der Zeit. Mit Veröffentlichung seines ersten Kochbuches verbindet er seine beiden größten Leidenschaften: Musik und Essen.
Gäbe es im Guinness Buch der Weltrekorde die Kategorie »Mensch mit den meisten parallel laufenden Jobs«, belegte Ahmir »Questlove« Thompson sicher einen der vorderen Plätze. Bemerken würde er es nur, wenn seine Follower ihn darauf hinwiesen. Denn statt sich um die eigene Achse zu drehen und sich mit sich selbst zu befassen, findet er immer neue Impulse, die ihn antreiben und schöpferisch tätig werden lassen.
So ist er seit dem Start des öffentlichen Internets Mitte der 90er eine der schillerndsten Personen im World Wide Web. Er war schon woke bevor der Begriff die Runde machte und ist seit ehedem stets Teil der Leute, die den Zeitgeist prägen. Durch die immer wache Rezeption des Neuen und dem Teilen des Wissens aus dem Gesammelten, hat er es zu einem wichtigen Multiplikator und tatsächlich Influencer gebracht, auch weit vor der Zeit, bevor dieser Terminus usus wurde. Dabei lässt sich Questo nicht kaufen, ist nie sell-out. Er ist der realste Realkeeper, lebt nur eben sehr transparent für die Öffentlichkeit und seine Follower, früher einfach Fans, danken es ihm. Er zeigt, was er erlebt und was er lebt. Auf diversen Instafeeds, in Podcasts, Twitter, er scheint alles parallel aus der Hüfte raus zu beherrschen. Dabei wahrt er zwischen Privatem, Beruflichem und Produktmarketing stehts die Contenance, gibt so Statements zu verstorbenen Freunden und Musikern ab, die zeigen, wie nah er ihnen und ihrem Werk stand. Von Tiefpunkten wie einem Bandbusunfall in Deutschland oder dem Tod von Freunden, hin zu Support für Häftlinge oder politische Bewegungen bis hin zum Produktpost mit Packshot. Das geht für ihn zusammen, denn er steht hinter allem, was er postet, was er produziert und wofür er sich zeigt. Wer hier eine Strategie unterstellt, ruft die ehemals Heads und heute Supporter genannten Fans auf den Plan, die in den fast dreißig Jahren, die sie ihn kennen könnten, wirklich alles gesehen, gehört, gelesen und gefühlt haben.
Sie argumentieren mit einer 80.000 Platten großen Sammlung, 11-14 The Roots-Alben und 50.000 Forumbeiträgen auf okayplayer.com – bevor es Twitter gab. Sie argumentieren mit einem kalten Hintern, den sich der Junge Brother ?love in Phillys South Street holte, Ende der Achtziger/Anfang der Neunziger, als er mit seinem Kommilitonen Tariq Trotter als »Black To The Future« mit Straßenmusik auf sich aufmerksam machte, bevor sie zu The Square Roots wurden. Questo webte den Trommelteppich für Tariq »Black Thought« Trotters Freestyles. Bevor es in den USA groß jemand merkt, sitzt die Band um einige Musiker erweitert als The Roots im Flieger zum Jazz Festival nach Mörs in Deutschland, mit dabei das erste Album, Organix. Natürlich auf Vinyl, denn Questlove kommt aus einem Musikerzuhause mit Musiksammlung und das weiß ja sowieso jeder: An Vinyl kommt nichts ran. Zurück in den USA, gab es kein Internet, also musste viel telefoniert werden. Ein Label aus England rief an, »Talkin‘ Loud«, eine EP folgte. Was sich jetzt liest, als sei es hundert Jahre her, war tatsächlich im letzten Jahrhundert, es sind aber nicht einmal 25 Jahre seitdem vergangen. Dass wirklich einmal »Hip Hop« an Unis unterrichtet werden würde, hat sich damals nicht der kühnste Visionär vorgestellt. Das Kinder und Erwachsene neben Jazz-Dance »Hip Hop« tanzen würden, allerdings auch nicht. Dass die Bildungselite Hip Hop Kultur heute anerkennt, kann auch Questlove zugeschrieben werden. Er steht für den intelligenten, reflektierten Hip Hop, weit ab von Gangsta-Stereotypen. Er hat Pionierarbeit geleistet und dafür wird er eines Tages in die Hip Hop Hall of Fame aufgenommen.
The Roots gelten als erste richtige Hip Hop-»Band«. Alles wurde von Anfang an live gespielt. Spielten andere Hip Hop-Acts Shows mit »Two Turntables and a Mic«, bauten The Roots Schlagzeug, Bass, Gitarre, Keys und hastenichtgesehn auf. Haters hate, Players play. Dabei zollten sie den G.O.A.T.S. stets Respekt.
Ihre Konzerte beinhalteten schon 1993 Tributes, bei denen sie live die Beats der Altmeister nachspielten, mit dem Druck, der nur live erzeugt werden konnte. Dem breiten Publikum konnten sie dieses Können durch die »History of Rap«-Performances von Jimmy Fallon und Justin Timberlake präsentieren. YouTube-Gold! Auch den Instrumenten lassen sie live viel Raum, oftmals kann jeder Musiker der Band mit einem kurzen Solo zeigen, aus welchem Holz sie geschnitzt sind.
Doch wer Respekt zollt, wird nicht automatisch respektiert. Wurden auch von »Fans« gehated. Besonders, weil sie radiotauglicher wurden, als sie »What They Do« veröffentlichten, ihren ersten Radiohit, dessen Video hier bei uns vor allem durch die Fernsehsendung Yo! MTV Raps bekannt wurde. Nach ihrem jazzigen Zweitling »Do You Want More« war das Album »Illadelph Halflife« ein vergleichsweise großer Erfolg. Waren es zuerst die Puristen, die sie ablehnten, waren es nun die Kopfnicker, die sich verraten fühlten. Erst dank des Internets und Questlove’s erstem Streich in diesem, dem Launch seiner Website okayplayer.com, wendete sich das Blatt und das trotz des Grammy-Gewinns für den Überhit »You Got Me«, produziert von Scott Storch, Questlove und seiner Produzenten-Clique The Grand Wizzards und ursprünglich eingesungen von Jill Scott und Eve, aber veröffentlicht in einer Version mit Erykah Badu, weil diese populärer war und das Label eine Politik betrieb, der sich die Band damals noch nicht entgegen stellen konnte. Ihr dazugehöriges Album »Things Fall Apart« brachte den Durchbruch in den Mainstream und Phrenology’s »The Seed 2.0«, eine Weiterentwicklung der Schlafzimmeraufnahme von Cody Chesnutt, zementierte sie in die All-Time Favs-Playlists von Jedermann. Real war Questlove dennoch. Ebenso 1999 starteten die täglichen, charmant schlauen Hip Hop-News auf dem Online-Zuhause für The Roots, Common, Reflection Eternal und andere aus diesem Dunstkreis: Okayplayer.com. Damit konnte Questlove wieder bei alten Fans punkten. Dem Freundeskreis von Musikern, die sich auf der Website repräsentiert sahen, wurde ein Name gegeben: »Soulquarians«. Ein Gruppenfoto, auf u.a. Questlove, Mos Def, Talib Kweli, Bilal, Erykah Badu, J Dilla und D’Angelo zu sehen sind, weckte allerdings einen Bedarf, der nie gestillt werden konnte. Zwar produzierte er mit D’Angelo dessen zweites Meisterwerk »Voodoo« und Alben mit Common oder Jay-Z’s MTV Unplugged, aber die Politik der Labels, die Komplexität der Künstlerverträge bei vielen unterschiedlichen Majors verhinderten das ganz große All-Star Projekt. Doch dem Einzelerfolg schadete das Scheitern der Idee als Einheit nicht. Echte Freunde stehen zusammen. Questlove mischte überall mit, wo seine Dienste gefragt waren und der Terminkalender es hergab. Nicht einfach bei teilweise 200 The Roots-Konzerten pro Jahr, rund um den Globus verteilt. Dem Broadway Fela Kuti-Tributstück »Fela« stand er als Musical Director zu Diensten, der Dave Chapelle Show ebenso. Sein Schaffen für und neben The Roots pushten den Marktwert seines Namens, so dass es auf okayplayer.com neben Shirts von The Roots auch Questlove-Merch gab. DJ Questlove-Flyer lagen in Städten aus, in denen The Roots am Abend spielten. Die Nacht gehörte Questo in den Clubs. Stets ausgerüstet mit den neuesten Technik-Gadgets. Dreizehn iPods im Handgepäck? Normal. Einmal Rap, einmal Soul, einmal Demos, einmal Prince, dies/das, mies/mas.
Die Fans konnten nicht genug von ihm bekommen und er schien nie genug von Musik zu haben. Das musste auch negative Folgen haben. Seine Gesundheit war und ist ein von ihm wenig kommentiertes und doch offensichtlich wichtiges Thema für Brother Question. Er kämpfte mit seinem Gewicht, nahm drastisch ab und wieder zu, nur um wieder ab- und wieder zuzunehmen. Jetzt hat er es geschafft. Er sieht gesund aus, lebt gesünder. Weniger Stress, weniger Reisen, besseres Essen – das musste nicht bedeuten, auf das tägliche Musizieren zu verzichten oder strenge Diät zu halten. Nach den Jahren im Tourbus und Flugzeug, kaum zuhause bei den 80.000 Platten im eigenen Lager, musste etwas passieren.
Eine Anfrage aus New York kam 2008 gerade recht. Der Schauspieler Jimmy Fallon, bereits erwähnt, bekam das Angebot, die Late Night Show auf NBC zu moderieren und suchte hierfür eine passende Band, die bei jeder Sendung dabei sein sollte. In New York im Rockefeller Center. Fünf Sendungen die Woche, auf unbestimmte Zeit. Er wollte The Roots. Er bekam The Roots. Seit nun schon 10 Jahren residieren sie im 30 Rock. Dabei wechselten sie das Format, Jimmy Fallon durfte die in den USA wichtigste Late Night-Show, die Tonight Show übernehmen. Knapp 1000 Sendungen hatten sie zu dem Zeitpunkt schon auf dem Konto, von 2009 bis 2014 produziert. Es folgten weitere 1000 bis heute. Pendelte Ahmir anfangs noch täglich mit dem Zug von Philly nach Manhattan, zog er nach ein paar Jahren fest in den Big Apple. Dort trifft sich mittags die Band und bereitet die Musik für die Sendung vor. Schnell war klar, dass das Konzept aufging. The Roots waren durch geschickt ausgewählte Stücke, oft nur kurz angespielt, in aller Munde. Musikergäste wurden mit in die Band integriert, Sänger erhielten ihre Musik live von der Band, um ganz eigene Versionen für die Sendung zu erschaffen. Auf YouTube besonders gut googlebar: »History of Rap«. Auch sehr sehenswert, aber höchst skandalös wurde es, als die Republikanerin Michele Bachmann mit der Musik von »Lying Ass Bitch« begrüßt wurde. Den Song kannte sie nicht, aber das musikinteressierte Publikum hat der Band via Twitter zu dem Schachzug gratuliert. Leider fanden den Gag nicht alle toll, Questloves Mutter soll ihn am Telefon zur Schnecke gemacht haben.
Das ist lange her und Questlove erfreut sich größter Beliebtheit und er bleibt vielbeschäftigt. 2018 wurde er in die Academy of Motion Picture Arts and Sciences berufen und ist somit für die Oscar-Vergabe stimmberechtigt. Seit 2013 ist er auch Buchautor. Seine erste Publikation, seine Memoiren, erschienen 2013 unter dem Titel »Mo‘ Meta Blues: The World According To Questlove«. Es folgten weitere.
Das nächste Roots-Album dürfte nicht mehr lange auf sich warten lassen, der Titel steht schon lange fest: »Endgame«. Bis dahin vertreibt er sich die Zeit mit der Entwicklung neuer Podcasts und eigener Verzehrprodukte. »Questlove’s Popcorn Seasoning« oder »Questlove’s Cheesecake« gibt es im Delikatessenladen. Ein Jahr hat er an Letzterem getüftelt. Questlove ist mittlerweile ein Food-Connaisseur. Wer seinen Instagram-Feed @questlovefoods kennt, weiß, wo der Winzer den Most holt oder der Questo seine Kalorien. Angenehmer: Der Begriff »Kulinarik« . Sie beginnt, wo »einfach satt werden« aufhört. Gourmet Questolicious lernte auf seinen Erdumrundungen die besten Küchen der Welt kennen, was ihm geholfen haben wird, auf Ideen für seine über 50 Gäste zu kommen, die er in seinem bereits fünften Buch, »Mixtape Potluck« zum Dinner einlädt. Zu diesen Gästen gehören Homie Q-Tip und Friedhofkino-Ausgehfreundin-Natalie Portman. Sie alle erhalten feinste Cuisine und Questlove wählt einen Song, der zur ihnen passt. Der Mixtape-Faktor. Zurück zur Kultur, Respekt zollen, den Kreis schließen, die Dinge verbinden. So holt er Musiknerds wie Foodies gleichermaßen ab und schlägt eine Brücke, wo schon immer eine hingehörte. Trommelwirbel: Vom platten Teller zum Plattenteller. Wer passend ausgestattet ist, kann nun also mit etwas Fantasie diese Leute bei sich einkehren lassen, die genannte Musik pumpen und für einen audio-gustatorischen Genuss der Questo-Klasse sorgen. Nicht wundern, wenn der Weihnachtsmann es sich selbst krallt.
Entdecke Questlove’s »Mixtape Potluck« bei HHV – erhältlich ab 15. Oktober 2019:
www.hhv.de/shop/de/questlove-mixtape-potluck-a-cookbook
Visual Content: Portrait von Questlove – Michel Baca