Kollabierende Kollaborationen
Text: Adrian Bianco
Ok, schon klar. Eine Kollabo erzeugt Hype, und im Idealfall haben beide Seiten etwas davon. Sie sorgt für gute Abverkäufe, Reputation und Relevanz. Eine Kollabo ist heutzutage schon die Norm und jeder will ein Stück vom Kuchen. Und jede Marke und ihre Marketingleute oder Agenturen wissen um diesen genialen Schachzug, der ein Produkt noch begehrenswerter macht. Ich mag vielleicht alt sein, aber ich bin nicht old school. Ich respektiere den Markt, ehrlich, seine Bedürfnisse und wie Marken darauf reagieren. Wenn die Leute es wollen, sollen sie es kriegen. Aber es gibt Momente, die einen Wandel andeuten in Richtung Höhenflüge, Übersättigung oder sogar Perversion.
Ein positives Highlight war zum Beispiel Nikes Einführung der »The Ten«-Serie, die das System der Kollaborationen, wie wir es bis dato kannten, für immer verändert hat. Oder die Zusammenarbeit zwischen adidas und Kanye Wests Marke YEEZY, die schließlich zu einem Imperium aus einem ununterbrochenen, niemals enden wollenden Output an Sneakers wurde. Gut gespielt. Von einer kleinen Community rund um die »ALL GONE«-Bücher zu Virgil Abloh und Kanye West – für mich schließt sich da ein wunderbarer Kreis.
Aber wenn wir über Höhenflüge, Übersättigung und Perversion sprechen, glaube ich auch, dass das alles langsam in eine merkwürdige, vielleicht sogar falsche Richtung geht. Da wäre zum Beispiel das Line Up an Produkten, die urplötzlich zum Release der dritten Staffel der Netflix-Serie »Stranger Things« überall auftauchten, dem eigentlichen Auslöser für diesen Artikel hier. Werfen wir doch doch mal einen Blick drauf, wie viele Kollabos ich bisher dazu gefunden habe:
Nike x Stranger Things 3
Levis x Stranger Things 3
H&M x Stranger Things 3
Highsnobiety x Stranger Things 3
Snipes x Stranger Things 3
Coca Cola x Stranger Things 3
Polaroid x Stranger Things 3
Ich bin mir ziemlich sicher, es gibt sogar noch mehr Produkte zu dem Thema, Pappkartons und Eiscreme und wahrscheinlich noch ein Auto oder sowas. Und ja, nicht ohne Grund habe ich eine »3« dazugeschrieben, denn es gab auch schon Kollabos zu anderen beiden Staffeln. Topman, Reebok etc.
Dabei mag ich eigentlich »Stranger Things«, ich mag auch Merchandise und Andenken. Solche Kollabos sind durchaus nicht neu für mich, wobei ich es aber eher gewohnt bin, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt auf den Markt kommen – dann, wenn die Serie oder der Film ikonisch oder Kult geworden ist – aber die Zeiten haben sich geändert. Alles geht rasend schnell: Im Zeitalter des Hypes sprechen wir von schnellen Trends, schnellen Releases, kurzer Lebensdauer und vielen, vielen Produkten und Kollaborationen. Und noch einmal: Ich respektiere den Markt, ich weiß, so laufen die Dinge nun mal. Wo die Nachfrage ist, zieht das Angebot nach.
Aber insbesondere angesichts der Masse an Kollabos für die aktuelle dritte Staffel, begann ich mich zu fragen, ob denn für alle involvierten Marken die Rechnung mit dem Hype, der Verkaufssteigerung und der Reichweite aufgegangen ist, einschließlich Netflix und »Stranger Things«. Eine Kollabo soll eigentlich limitiert, exklusiv und schwer zu kriegen sein. Etwas, womit du deine Kultur, Subkultur, deinen Tribe, Nerdism oder einfach nur den Umstand, dass du Fan bist, nach außen tragen kannst.
Als jedoch große Marken und Namen wie Nike, Levi’s, H&M und Highsnobiety alle zur gleichen Zeit eine Textilkollektion zum gleichen Thema rausgebracht haben, wurden aus meiner Sicht einige Grenzen überschritten.
Ein Fast-Fashion-Unternehmen, ein Sneakergigant, eine Denim Brand und ein Magazin, alle kommen zusammen zu denselben »Stranger Things«. Auch wenn jede Kollektion für sich betrachtet gelungen, cool, gut gemacht und was auch immer ist – es geht hier nicht ums Design – helfen sie sich alle gegenseitig nicht besonders.
Offensichtlich hat jemand bei Netflix keine Mühen gescheut, die neue Staffel auf sämtlichen verfügbaren Kanälen zu vermarkten und es scheint, als hätte jede Marke angebissen. Noch dazu wurde sichergestellt, dass es nicht nur einen Plan A und Plan B gibt, sondern einen Plan A, B, C, D, E, F und G. Aber was bedeutet das für die Serie, für Kollabos und den Markt?
Im Fall der Serie gerät definitiv die wunderbare und originelle Story in den Hintergrund. Netflix ist eine Maschinerie, ein Geld druckender Gigant, und da bleibt nicht mehr viel Romantik übrig, wenn eine Serie nach nur zwei Staffeln bereits 10 Produkte aus dem Boden stampft. Ja, wir verstehen schon. Ihr wollt Geld verdienen, aber wollt ihr wirklich die sprichwörtliche Kuh derartig melken bei einer so neuen Serie? Mich hat die Story jedenfalls nicht mehr so wirklich interessiert, nachdem ich bereits sieben Produkte gesehen habe, noch bevor ich überhaupt die erste Folge angeschaut hatte. Wollen wir denn wirklich nach Disneyland, bevor wir mit Disney Filmen aufgewachsen sind? Oder Star Wars Lego kaufen, wenn Obi-Wan nur in drei Staffeln aufgetreten ist? Der Mann musste erst für uns sterben, damit wir Geld für das Merchandise ausgeben. Die Alien Filme, die Ghostbusters oder Michael Myers brauchten alle eine gewisse Zeit, bevor sie ihre eigenen T-Shirts, Masken, Spielzeuge, Videospiele usw. herausbringen durften. Ikonen müssen erst entstehen, bevor man mit ihnen Shopregale vollbombt. Man kann Ikonen nicht künstlich aufbauen, also bitte fangt nicht an, künstlich erzeugte Produkte zu verkaufen. Zumindest nicht so viele… Alles bewegt sich ein bisschen zu schnell, und ich finde, Netflix hat es übertrieben. Es könnte einen Grund geben, warum ich schon genug von der dritten »Stranger Things« Staffel hatte, noch bevor ich überhaupt angefangen hatte, sie zu gucken.
Im Hinblick auf Marken und Produkte zeigt uns meiner Meinung nach eben diese dritte Staffel ein Problem auf, oder nennen wir es eine Evolution, die wir gerade durchlaufen: Wie wertvoll werden Kollaborationen noch sein, wenn sie zum Mainstream, gehören? Früher haben wir Kollabos und limitierte Produkte gekauft, weil sie besonders und außergewöhnlich waren. Und ja, auch wenn es nur die wenigsten gerne zugeben – es ist schön, etwas Exklusives zu besitzen, das nicht jeder hat. Aber im aktuellen Markt sind Kollabos Mainstream, und zum großen Glück der Macher haben es die Leute (Kunden) noch nicht realisiert.
Sie glauben noch immer, ein besonderes Produkt gekauft zu haben, einen einzigartigen Teil einer Story. Aber in Wahrheit kaufen wir doch etwas, das jeder will, jeder kennt und wahrscheinlich jeder bekommt. Ein weiteres von vielen Kollabo-Produkten wird deinem Outfit nun mal keine Individualität verleihen. Eine Kollabo ist etwas, das jeder kauft. Eine Kollabo ist etwas, das jeder trägt. Eine Kollabo ist Mainstream. Sie ist nichts Außergewöhnliches mehr.
Dennoch lassen wir die Nachfrage entscheiden und dieses Businessmodell wird wohl noch eine lange Zeit weiter praktiziert, wahrscheinlich für immer. Aber die jüngste Häufung von Kollaborationen zeigt einfach, wie heute Hype und Begehrlichkeit normalisiert werden. Ich glaube, dass es bald Kunden geben wird, denen das alles zuviel wird, vielleicht wird man sich rückbesinnen auf General Releases, Nicht-Kollabo-Produkte oder Sneakers. Und diese Stranger Things Kollabo Sache könnte das erste Anzeichen dafür sein, dass der Markt übersättigt und ein kleines bisschen langweilig geworden ist, voll mit Produkten und Klonen von Produkten.
Welcher Teenager sticht heraus in einer Gruppe aus fünf Freunden? Die vier mit Kollabo-Sneakers oder der eine, der den Nicht-Kollabo-Schuh trägt. Entscheide du.
Illustrationen: V.Raeter