Art Comes First
Schneiderkunst, Alchemie & Fortschritt
Text / Interview: Amber Grünhäuser
Als Kollektiv von Freunden und Partnern, das sich immer wieder neu erfindet, setzt sich Art Comes First seit 2007 für das Kunsthandwerk und die Handwerkskunst ein. Im Zentrum dessen stehen die beiden Gründer Sam Lambert und Shaka Maidoh. Art Comes First ist nicht einfach nur ein leeres Statement, sondern eine Philosophie, die sich wie ein roter Faden durch die gesamte kreative Arbeit der beiden zieht. ACF baut instinktiv auf eine reiche Geschichte verschiedener kultureller Bewegungen und musikalischer Referenzen, überdenkt und überarbeitet sie und erschafft daraus einen modernen Kontext für den Rudeboy des 21. Jahrhunderts. Aus London heraus bietet die ACF Agentur für Markenberatung und Styling »Schneiderkunst, Alchemie und Fortschritt« in Form ihres Menswear Labels sowie Projekten aus den Bereichen zeitgenössischer Kunst, Handwerk, Design und Fotografie an.
Lambert und Maidoh, beide Söhne von Schneidern, verstehen die geschickte Poesie der klassischen Handwerkskunst. ACF offenbart eine Ehrfurcht vor dem Entwurfs- und Konstruktionsprozess, die in diesem Maße normalerweise dem fertigen Produkt vorbehalten ist. Vergleichbar mit der Machart von Remixen im Musikbereich verwendet ACF DJ-Techniken bei der Kreation von Entwürfen für das Menswear Label. Ausgangspunkt ist dabei immer zunächst die Suche nach Kultur- und Stilschätzen, die mühevoll auf Flohmärkten, Secondhand-Läden und allen möglichen Orten im In- und Ausland zusammengesammelt werden.
Nach dem Vorbild des Samplings wird auf diese Weise der Fokus auf die Gegenüberstellung und Verbindung verschiedener Einflüsse gelegt, aus der etwas komplett Neues entsteht, das noch lange vor der Festlegung von Schnitten und Stoffen die neuen Designs prägt. Kleidung von ACF verkörpert auf gewisse Art die »Spuren älterer Kulturen« und die »freie Kunst des Handwerks«, kombiniert mit unmissverständlichen Punk-Elementen, dem Geiste der Rudeboys sowie einem Wink zum Billism (eine subkulturelle Bewegung, entstanden im Kongo der 1950er Jahre, als kongolesische Jugendliche aus einer tiefen Bewunderung heraus den Stil und die Kleidung von Cowboys aus Westernfilmen übernahmen, mit dem Ziel, gemeinsam gegen die Unterdrückung durch die Kolonialmächte zu rebellieren).
Anlässlich der am 28. März erscheinenden Fred Perry x Art Comes First Kollektion durften wir dem Duo einige Fragen stellen.
HHV: Warum sollte die Kunst an erster Stelle stehen? Und wie wendet ihr diese Philosophie auf eure Arbeit an?
Art Comes First: Die Kunst sollte an erster Stelle stehen, denn sie ist der Ursprung des Handwerks. Wenn du bist, was du tust, wirst du immer dein Bestmögliches geben. Wir wenden diese Philosophie auf unsere Arbeit an, indem wir respektieren, dass alles schon einmal dagewesen ist. Wir versuchen nicht, das Rad neu zu erfinden, aber etwas hinzuzufügen, das durch die tiefgehende Suche und Wertschätzung der kulturellen Hintergründe geprägt ist, mit Hilfe altbewährter Techniken und dem Bestreben, diese zu verbessern. Gleichzeitig achten wir die Tradition und wollen sicherstellen, dass sie für die nächste Generation bewahrt wird.
HHV: Eure Kollektionen sind tief verwurzelt in Geschichte, Kulturen, Handwerk und Musik, haben aber auch einen deutlichen modernen und urbanen Charakter. Welche Rolle spielen die ACF Konzepte der »Spuren älterer Kulturen« und der »freien Kunst des Handwerks« oder andere Definitionen, die aus eurer Sicht eure Einstellung zu Design und Stil erklären?
ACF: Eine dieser Definitionen ist beispielweise »Kunst darf nichts fürchten« – für uns besonders bedeutsam, denn sie erinnert an Nina Simones Aussage »Die Pflicht des Künstlers ist es, das Zeitalter zu durchleuchten.« Eine andere ist »Immer zuerst schneiden« und spiegelt unseren klassischen Ansatz in Sachen Design wider. »Bring kreative Freunde zusammen« handelt von der Zusammenarbeit mit anderen Künstlern, bei der Grenzen neu definiert werden. Und die »Spuren älterer Kulturen« bezeichnen die Tradition sowie das Zusammentreffen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
HHV: Neben den Rudeboy- und Punkreferenzen finden sich in den ACF Kollektionen Hommagen an die Billism-Bewegung: der Hut, von Western inspirierte Details und Akzente, die Haltung, die Politik und die Anmut. Was fasziniert euch daran besonders und wie wirkt sich das auf den Rudeboy des 21. Jahrhunderts aus?
ACF: Bei den Rudeboys/Punks ging es um Selbstdarstellung, während sie sich für die Arbeiterklasse einsetzten. Und auch Billism war und ist eine stilistische Jungendkultur gepaart mit Sozialbewusstsein. Beide dieser Bewegungen sind politische Betrachtungsweisen unserer modernen Gesellschaft; es geht darum, eine Community mit Gleichgesinnten zu bilden, in der Zusammenhalt das Wichtigste ist. Die jugendliche Rebellion ist der rote Faden, der sich durch de meisten Subkulturen zieht. Die Black Yeehaw Ästhetik soll daran erinnern, dass wir schon immer Teil von alldem waren, aber heute geht es mehr darum, dass das alles zu einem Lifestyle gehört.
HHV: Euer Designprozess ist vergleichbar mit DJing. Wie genau werden dabei DJ-Techniken auf Menswear angewandt?
ACF: Das ist eine Metapher über die Gemeinsamkeiten zwischen einem DJ und einem Designer. Es geht darum, einem Vintage-Kleidungsstück neues Leben einzuhauchen, so dass es modern und zukünftig relevant sein kann. So wie wir auf Flohmärkten, in Sammlungen und Secondhand-Läden nach besonderen Stücken suchen, würde auch ein DJ in Plattenläden oder auf Märkten nach alter oder rarer Musik suchen, aus denen er Songs oder Beats kreiert und seinen Zuhörern etwas Neues aus der Vergangenheit zeigt. Sobald wir das passende Kleidungsstück gefunden haben, versuchen wir, es zu verstehen. Erst danach zerlegen wir es und setzen es wieder neu zusammen, fügen andere Teile hinzu und erschaffen ein völlig neues Design. Ab da gehen wir über zu modernen Herstellungswegen für unsere Kollektion. Zum Beispiel kombinieren wir etwa die Ärmel einer Sixties-Lederjacke mit einem Fifties-Anzug. Dieses »Frankenstein-Teil« ist dann der Prototyp für unsere folgende Kollektion. Nach ähnlicher Methode geht ein DJ ins Studio und fügt Samples verschiedenster Genres und Musik aus unterschiedlichen Jahrzehnten zusammen und gibt es einem MC oder Sänger, damit dieser sich wiederum einbringt.

HHV: Was war die Inspiration für eure SS19 »SURF AFRIKA« Kollektion?
Sam Lambert: Während unserer Reisen durch Afrika fiel uns eine große und wachsende Surfkultur in Ländern mit Küstenregionen auf, die – soweit wir herausfinden konnten – seit fünf Jahren oder länger existiert. Bei unserem letzten Trip durch Dakar, Senegal, einem meiner absoluten Lieblingsorte, haben wir angefangen, Surfen zu lernen. Ein Traum von mir war immer, meinen Ruhestand auf Madagaskar zu verbringen, mit einem Surfboard und meiner eigenen Bademode, und zu surfen; ich denke ich werde Madagaskar gegen den Senegal eintauschen.
Shaka Maidoh: Bei SURF AFRIKA geht es um mehr als Freizeit oder Sport, es geht auch um ein Fortbewegungsmittel, um das Reisen von Land zu Land und Ort zu Ort, oder mehr noch, auf digitaler Ebene, dem heutigen Zeitalter entsprechend. Surfe online und erforsche andere Länder, nicht nur Afrika. Surfe nach deinen Interessen und du wirst sehen, dass es noch etwas anderes gibt, das dem, was du weißt, entweder sehr ähnlich oder sehr unähnlich ist.

HHV: Die Details der neuesten Fred Perry x Art Comes First Kollektion dürfen vor dem offiziellen Release ja noch nicht verraten werden. Könntet ihr für uns trotzdem die Kollektion mit einigen Schlagwörtern umschreiben?
Lambert: Better get ready/Come do rocksteady/You’ve got to do this new dance/Hope you are ready/You’ve got to do it, just like Uncle Fred & Art Comes First.
Madioh: Diese Lyrics werden einen Sinn ergeben, wenn die Kollektion erscheint, ich bin gespannt zu sehen, wer es versteht.
HHV: Und schließlich, habt ihr irgendwelche Stilweisheiten für unsere Leser?
Lambert: Stilweisheit: Halte es einfach, maßgeschneidert und bleib‘ dir selbst treu.
Maidoh: Finde heraus, was dir steht, achte auf Proportionen, nutze Accessoires dort, wo sie gebraucht werden.
Visual Content: Art Comes First, Fotografien von David Pattinson und Feelix AAA