Carhartt WIP presents
RELEVANT PARTIES
Stones Throw & Ninja Tune
»No guts no glory« (auf Deutsch etwa »wer nicht wagt, der nicht gewinnt«) ist ein beliebtes Sprichwort, das besagt, dass man oftmals Hindernisse, Angst und Vernunft ignorieren muss, um eine Vision Wirklichkeit werden zu lassen. Glücklicherweise war diese Haltung in der Welt der Musik, Kunst und Mode schon immer weit verbreitet. Und wir haben es kühnen Denkern und hoffnungslos Besessenen zu verdanken, dass wir heute Zugang zu unendlich vielfältigem kreativem Output aus aller Welt haben.
Schon lange vor der Social Media und Online-Streaming Ära haben Independent Plattenlabels das Terrain für Künstler geschaffen, die die Musiklandschaft der letzten Jahrzehnte und der Gegenwart wesentlich geprägt haben. Diese Labels haben tief gegraben, um neue, einzigartige Sounds zu finden, und Künstler in ihrer Individualität gefördert, anstatt sie künstlich zu erschaffen. Befreit von den Anforderungen des gewinngetriebenen Mainstream-Business, blieben sie ihrem Geschmack und ihrer Beharrlichkeit treu, selbst dann, wenn das nicht immer die Rechnungen bezahlte.
Carhartt WIP präsentiert RELEVANT PARTIES, eine Podcast-Reihe über einige der weltweit einflussreichsten Independent Plattenlabels aller Zeiten. Mit dabei sind unter Anderem Labels wie Stones Throw Records, Ninja Tune, Ghostly International und Jazzy Sport. RELEVANT PARTIES portraitiert Kreative und Musikszenen, die uns und unsere Community in den letzten zwei Jahrzehnten stark geprägt haben, daher ist es für uns ein ganz besonderes Projekt.
Die Stimme von RELEVANT PARTIES ist die britische Musikjournalistin Chal Ravens, und wir hatten die Chance, ihr ein paar Fragen zu stellen.
HHV: Für diejenigen, die mit dir und deiner Arbeit nicht vertraut sind: Könntest du uns etwas über dich und dein Verhältnis zu Musik, Kultur und Mode erzählen?
Chal Ravens: Ich bin schockierenderweise seit fast 10 Jahren Musikjournalistin. Ich habe für FACT, The Wire, Pitchfork und viele andere Musikzeitschriften geschrieben. Eine Zeit lang moderierte ich im Red Bull Radio eine Sendung namens »Top Flight«, in der ich Genres wie Kuduro, Dancehall, Drum and Bass und das sich ständig verändernde »Club« spielte, und diese Art von Musik ist immer noch mein Fachbereich – aber als Hörer bin ich die absolute Allesfresserin. Dasselbe gilt für Kultur im Allgemeinen – ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der ich nicht einfach alles auf einmal einatmen wollte. Leider hat mich mein dringendes Bedürfnis, von allem ein bisschen etwas zu wissen, zu einer hoffnungslosen Generalistin gemacht. Das Schreiben ist der beste Weg, all diese abgeschöpften Informationen zu nutzen. Wenn es um Kleidung geht, werde ich mich ein altes Klischees bedienen und sagen, dass ich mich mehr für Stil als für Mode interessiere – die Leute sollten tragen, was sie wollen. Aber seit ich mich für eine Schulaufführung einmal als die Pilotin Amy Johnson verkleidet habe, habe ich eine Schwäche für Boilersuits.
HHV: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Carhartt WIP?
CR: Ganz ähnlich wie jedes kreative Projekt heutzutage – durch viele, viele E-Mails! Aber natürlich mussten wir alle Hindernisse überwinden, die das Jahr 2020 uns in den Weg stellte. Der anfängliche, vor der Pandemie erstellte Plan für die Aufzeichnung der Podcasts war viel glamouröser und beinhaltete, dass ich mit einer Oldtimer-Kamera im Schlepptau auf den Türschwellen all dieser internationalen Plattenfirmen auftauchte, um das ganze Treffen zu dokumentieren. Dann setzte uns der Virus auf eine andere Timeline, so dass wir beschlossen, das gesamte Projekt aus der Ferne durchzuführen. Am Ende war es überraschend reibungslos, was nur zeigt, wie sehr die Welt durch digitale Plattformen und Highspeed-Internet verändert wurde.
HHV: Du hattest das Glück, dich mit den Gründern einiger der wichtigsten Independent Plattenlabels und Impulsgeber der globalen Musikkultur zusammenzusetzen. Menschen, die unglaublich große Risiken eingegangen sind, ihren Mut der Vernunft vorgezogen und unermüdlich für ihre Visionen gekämpft haben. Was waren die inspirierendsten und vielleicht sogar überraschendsten Beweggründe für ihre Entscheidungen?
CR: Ein Independent Label zu betreiben, ergibt im Grunde nicht wirklich viel Sinn. Aus finanzieller Sicht ist es ein bisschen so, als würde man versuchen, einen Koffer voller Bargeld über einen mit Piranhas verseuchten Fluss zu tragen, ohne zu wissen, ob die Seilbrücke mit dem nächsten Schritt einstürzen wird. Die Art von Leuten, die es gut machen, sind also diejenigen, die ohne Rücksicht auf Verluste agieren. Die Labelchefs, mit denen ich beispielsweise in der ersten Folge spreche, sind gleichzeitig aber auch unglaublich besonnen. Für Stones Throw Gründer Peanut Butter Wolf zum Beispiel gab es einfach keine Alternative – er schrieb bereits in der High School einen Aufsatz darüber, wie er eines Tages ein Plattenlabel führen würde. Sam von Ghostly etwa machte sich einfach an die Arbeit, lernte das Geschäft kennen und fand heraus, was er tun musste, um der Zeit voraus zu sein. Ich glaube, diese hartnäckige Beharrlichkeit entspringt dem Verdacht, dass man nicht wirklich in der Lage sein wird, einen anderen Job zu machen – sie sind einfach Hardcore-Musikbesessene. Sie haben im Grunde eine Krankheit in eine Karriere verwandelt. Das ist sehr inspirierend.
HHV: Tastemaker waren Meinungsmacher, bevor der Begriff Influencer überhaupt erfunden wurde. Wie würdest du diese Art von Kreativen charakterisieren? Was ist es, das Nerdism und Leidenschaft in Einfluss und sogar Business verwandelt?
CR: Auch hier geht es wieder um schiere Sturheit. Beharrlichkeit ist unschlagbar. Es hilft natürlich, klug zu sein, und man kann leicht einen Burnout erleiden, wenn man am Ende zu viel Zeit damit verbringt, über unbezahlte Rechnungen und Sample-Clearing zu schwafeln. Aber auch die Kontrolle des Labelchefs trifft am Ende immer irgendwo an ihre Grenzen. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein macht oft den Unterschied zwischen einem interessanten und einem einflussreichen Label aus. Es scheint mir, dass die größten Vermächtnisse viel damit zu tun haben, Künstler in die gleiche Umlaufbahn zu ziehen und eine Gemeinschaft zu bilden, die einen Klang oder einen Ort oder einen Moment in der Zeit einfängt.
HHV: Es gibt viele Gemeinsamkeiten zwischen der Welt der Musik und der Welt der Mode. Beide sind Medien des kulturellen Ausdrucks, und in beiden Welten gibt es eine Mainstream- vs. Nischenpolarität. Zweifellos wird die Mode stark von der Kultur beeinflusst, insbesondere von Subkulturen, Musik und Kunst. Genau wie die Gründer von Plattenlabels müssen sich die Schöpfer unabhängiger Fashion Brands oft den gleichen Hindernissen und Herausforderungen stellen und viel für ihre kreative Vision opfern. Bist du in deinen Gesprächen mit den Gründern dieser Plattenlabels jemals auf diese Gemeinsamkeit gestoßen?
CR: Eine Sache, die erfolgreiche Labelchefs mit erfolgreichen Fashion Designern gemeinsam haben, ist die Fähigkeit, vorübergehende Trends zu ignorieren und sich vollkommen ihrer eigenen kreativen Vision zu widmen, die für alle anderen zu diesem Zeitpunkt vielleicht keinen Sinn macht. Man muss einfach an das glauben, was man tut – wenn man wirklich gut darin ist, hat man sich entweder eine eigene Nische geschaffen oder vielleicht sogar den kommenden Zeitgeist in irgendeiner Weise vorgegriffen. Stones Throw ist ein fantastisches Beispiel dafür. Peanut Butter Wolf erzählte mir, dass keines der Hip-Hop-Magazine darüber berichtete, was sie in den späten 90er Jahren taten – er lebte in einem Haus mit Madlib und DOOM, hörte ihnen zu, wie sie jeden Tag diese unglaubliche, alles verändernde Musik machten, fühlte sich aber von der Musikpresse so ziemlich ignoriert. Wir wissen natürlich alle, wer am Ende Recht hatte. Die Lektion dort ist, sich nicht darum zu sorgen, was Schriftsteller oder »Tastemaker« oder Entscheider über das, was man macht, denken, denn wenn es wirklich, wirklich gut ist, werden sie es sowieso noch nicht verstehen.
HHV: Welche drei Platten definieren dich als Teenager? Oder welche Platten haben in deinen Teenagertagen nachhaltig deinen Musikgeschmack geprägt?
CR: »The Miseducation of Lauryn Hill« war für mich als Musikfan grundlegend – ich habe diese Lieder immer und immer wieder gesungen. Aber viele meiner Teenager-Favoriten waren im Nachhinein ziemlich miserabel. Ich hatte kein Geld, und Internet bei uns zuhause ging nur über eine antike Wählverbindung, so dass ich nicht so viele Platten hörte. Manchmal ließ ich Napster die ganze Nacht an und hoffte, dass die Verbindung nicht abbrach, bevor eine B-Seite von den Smiths heruntergeladen wurde. Ich lieh mir das »White Pony« Album der Deftones von einem Jungen in der Schule aus, der eine coole Plattensammlung hatte, und ich erinnere mich daran, wie geflasht ich davon war. Und eines Nachmittags saß ich da und schrieb alle Texte von »Original Pirate Material« auf, mit einem Finger auf der Pause-Taste. All das lässt mich fast cool klingen, aber ich war auch in einer Emo-Band. Ich stehe aber definitiv zu Rage Against The Machine – wahrscheinlich liebe ich sie heute noch mehr als mit 17.
RELEVANT PARTIES VOL.1 – Stones Throw Records
Den Auftakt der Podcast-Reihe macht niemand geringeres als Chris Manak a.k.a. Peanut Butter Wolf mit seinem legendären Label Stones Throw Records. Von Los Angeles aus mischt Stones Throw seit 1996 die globale Musikszene mit einzigartigen Sounds und Künstlern aus vielfältigen Genrewelten auf, die von Hip Hop, Funk and Jazz bis hin zu experimentellem Psychedelic Rock reichen. Wir haben Stones Throw unvergleichliche Künstler wie J Dilla, Madlib, DaM-FunK und The Egyptian Lover zu verdanken, zu den Highlights der vergangenen Jahre zählen Namen wie Sudan Archives, MNDSGN, Mayer Hawthorne oder Knxwledge. Es gibt viele Geschichten zu hören und einiges zu lernen:
Carhartt WIP hat jedem Plattenlabel übrigens eine analoge Fotokamera geschickt und sie gebeten, ein paar Schnappschüsse zu machen. Hier sind einige davon, die Jeff Jank geschossen hat, langjähriger Art Director von Stones Throw und fester Bestandteil der Familie seit den frühen Tagen von Madlib/Quasimoto, MF DOOM und DaM-FunK.
Entdecke unsere Auswahl von Stones Throw Records hier bei HHV Records:
Stones Throw Records
RELEVANT PARTIES VOL.2 – Ninja Tune
Wer von euch kennt noch die Solid Steel Radioshow und Mix-Reihe, die es seit sage und schreibe mehr als 30 Jahren gibt? Fühlt ihr euch jetzt auch so alt? Man könnte locker behaupten, dass Solid Steel maßgeblichen Einfluss darauf hatte, was viele von uns hier bei HHV in unseren Zwanzigern gehört haben. Künstler wie Roots Manuva, Andy Smith, Cut Chemist, DJ Shadow, Mr Scruff und viele mehr haben es überwiegend über die Plattform Solid Steel in unsere Gefilde geschafft. Hinter Solid Steel stecken Matt Black und Jonathan Moore, auch bekannt als Coldcut. Sie gründeten ihr Plattenlabel Ninja Tune bereits 1990 als Antipol zu den großen Major Plattenlabels und zeichnen seitdem für innovativen und abwechslungsreichen Sound von Künstlern wie Bonobo, The Cinematic Orchestra, Thundercat und Flying Lotus verantwortlich. In RELEVANT PARTIES Volume 2 könnt ihr alles über die Entstehung und Philosophie von Ninja Tune hören:
Auch Ninja Tune hat ein paar fotographische Impressionen geliefert, geschossen von Chal Ravens:
Hier findest du Ninja Tune bei HHV: Ninja Tune
Bleibt dran für die nächsten Episoden von Carhartt WIP RELEVANT PARTIES über weitere bahnbrechende Independent Plattenlabels aus aller Welt.
Visual Content: Carhartt WIP / Stones Throw Fotos : Jeff Jank & Foto Schiko / Ninja Tune Fotos: Chal Ravens & Foto Schiko