Post Corona Consumerism
Text & Interviews: Adrian Bianco
2020 wird als ein spezielles Jahr in die Geschichte eingehen. Ein Jahr, dass die Welt für kurze Zeit zum Stillstand gebracht, verlangsamt und zum Teil auf das Wesentliche reduziert hat. Was als Virus-News aus China seinen Anfang nahm, verwandelte sich Woche für Woche, mehr und mehr in eine globale Situation und Problematik, in ein sehr ernst zu nehmendes Gesundheitsrisiko – in eine Pandemie. Die Welt beugte sich, die ersten Länder verhängten Lockdown-Regelungen, nichts war mehr so wie es davor war.
Zur fast selben Zeit durchbrach das BLACK LIVES MATTER Movement und der gewaltsame Tod von George Floyd den Stillstand. Nicht nur den Stillstand auf den Straßen, sondern auch den Stillstand in unseren Köpfen. In was für einer Gesellschaft leben wir, wollen wir leben und wofür lohnt es sich zu kämpfen, auf die Straße zu gehen und seine Meinung zu teilen? 2020 hat uns zum Einen zu Hause sitzen lassen, zum Anderen auf die Straße oder auf digitale Kanäle gehen lassen. Und 2020 ist noch nicht vorbei, die Pandemie noch nicht bekämpft, die Auswirkungen noch immer spürbar und das Thema Polizeigewalt ist akuter denn je.
Ein paar tiefe Hacken, die sitzen. Aus diesem Intro noch einen Artikel zu bauen, der sich um unser Konsumverhalten, Sneakers und Marken dreht, ist nicht einfach und eben doch nicht so unwichtig. Denn sich genau diese Fragen zu stellen – »Sneaker und Marken im Jahr 2020 – Braucht es das? Brauch ich das? Was genau will ich denn von den Marken? Wo geht es hin?« – ist wichtig. Was genau passiert, wenn die Pandemie vorbei ist und alles wieder beim Alten ist oder wir vor einem neuen Alten stehen?
Hat uns die Pandemie etwas gelehrt? Haben wir unser Konsumverhalten angepasst, ganz aufgegeben, verfeinert? Sind wir ab jetzt mehr sustainable, achten darauf was Marken machen und doppel-checken ihre Moves und ihr Marketing, oder bleiben wir doch bei »20 Chicken McNuggets, bitte«, »Wieviel ist dein Outfit wert?« und »Wann droppt der nächste OFF-WHITE/ Yeezy?«?
Da jeder durch das Jahr anders gelaufen, gesessen oder gerannt ist, haben wir uns mit vier Kreativen aus dem Fashion/Streetwear Sektor zusammengetan, um herauszufinden, wie sie die letzten Monate Corona erlebt haben und wie Konsum nach Corona für sie aussehen könnte.
Salome Schmuck / Berlin – @salofee
Adrian Bianco: Hey Salome, kannst du uns bitte ein wenig darüber erzählen, was du machst und welche Verbindung du zu Mode und Streetwear hast (als Verbraucherin, im Job, als Sammlerin, Fan oder sonst irgendwie)?
Salome Schmuck: Aufgrund der Tatsache, dass ich sowohl in meiner Vergangenheit als auch im Moment immer in Bereichen gearbeitet habe, die sich mit Mode überschneiden, spielt Streetwear in meinem Leben eine große Rolle. Derzeit arbeite ich in der Musikindustrie, und ich finde es immer sehr inspirierend, wie sich verschiedene Kunstformen und Bereiche gegenseitig befruchten. Ich glaube, es gäbe keine Musikkultur ohne Mode, denn es geht immer irgendwie um Identifikation und Repräsentation. Sowohl Mode als auch Musik bieten Möglichkeiten, zu kommunizieren und sich auszudrücken, und was ist in Zeiten wie diesen wichtiger als das?
AB: Wie hast du die ganze COVID-Situation erlebt? Wie waren die letzten Monate für dich?
Salome: Ich werde diese Frage nicht umfassend beantworten können, sie ist viel zu komplex, aber lass es mich mal versuchen: Ich spreche aus einer sehr privilegierten Position heraus. Das möchte ich schon einmal betonen, denn ich habe gesehen, wie schlecht es Freunden und Bekannten von mir in anderen Ländern geht. Ich konnte den Lockdown genießen, weil ich Freunde um mich herum hatte und nicht allein war. Alles war sehr entschleunigt, und diese allgemeine Entschleunigung war sehr interessant zu beobachten. Ich habe es geliebt, dass die Stadt so langsam war. Ich sah Berlin mit ganz anderen Augen und war viel aufmerksamer. Man lernt mehr zu schätzen, Zeit in der Natur verbringen zu können und nicht zu Hause bleiben zu müssen. Auch Freunde und Familie treffen zu können, ist wertvoller geworden. Das vermisse ich. Ich hatte gehofft, dass die Menschen etwas aus der Zeit der Abriegelung mitnehmen würden, aber es scheint mir, dass jeder wieder zur Normalität zurückkehren möchte, anstatt umzudenken und neue Lebensformen anzunehmen.
AB: Und wie denkst du jetzt darüber?
Salome: Es tut mir sehr leid, wenn ich die Situation in anderen Ländern und anderen Systemen sehe. Und ich hoffe immer noch, dass die Menschen in Deutschland sich nicht darauf ausruhen, wie die Situation hier gelaufen ist, und nicht in Unkenntnis darüber geraten, was in der übrigen Welt geschieht.
AB: Wie hast du den Lockdown erlebt oder erlebst ihn noch? Hast du etwas aus der Mode- und Lifestyle-Welt vermisst oder konntest du gut ohne neue Kleidung und Turnschuhe leben? Hast du tatsächlich einen kleinen Detox genossen?
Salome: Ehrlich gesagt, hat es mir irgendwie gefallen, als alle Geschäfte geschlossen waren. Wie ich gerade sagte, fand ich es sehr beruhigend, dass nicht alle in der Stadt in Eile durch die Gegend rennen. Es war seltsam, wie voll Berlin war, als die Geschäfte wieder öffneten. Das zeigt nur, wie abhängig wir alle vom Konsum sind. Ich verstehe, dass die Läden Geld verdienen müssen und dass die Wirtschaft im Aufschwung sein muss, aber auch hier denke ich: Hätte es nicht neue Wege geben können? Kürzere Öffnungszeiten? Neue Konzepte für Läden? Ich habe das Einkaufen überhaupt nicht vermisst.
AB: Jetzt, wo COVID hinter uns und noch weiterhin vor uns liegt, wie hat sich deine Wahrnehmung und die Bedeutung von Mode für dich persönlich verändert? Ist dir bewusster, was du kaufst, oder hast du aufgehört, etwas Bestimmtes zu kaufen
Salome: Schon vor Corona bin ich eher eine Second Hand Shopperin gewesen. Ich habe eigentlich keine neue Kleidung in meinem Schrank, außer Schuhe. Ich denke, die COVID19-Situation hat dies nur noch verstärkt. Während des Lockdowns habe ich mich auch umgesehen, welche kleinen Designer unterstützt werden könnten. Ich habe tolle kleine Labels bei Instagram gefunden und dort Sachen gekauft. Ich glaube, das hat der kreativen Szene einen neuen Impuls gegeben, weil die Leute sich solidarisch zeigten. Das war sicherlich ein positiver Aspekt, und ich sehe, dass dies in meinem sozialen Umfeld beibehalten wird.
AB: Wie denkst du über den Rest des Marktes? Glaubst du, dass wir ab jetzt »besser«, nachhaltiger oder weniger konsumieren werden?
Salome: Ich lebe in Berlin in einer Bubble und kann daher nicht für den Rest Deutschlands und schon gar nicht für den Rest der Welt sprechen, aber ich sehe eine positive Entwicklung. Wenn wir jedoch realistisch bleiben, glaube ich nicht, dass die Massen ihre Meinung ändern werden, zumindest nicht in den nächsten Jahren. Ich habe viel Vertrauen in die jüngere Generation, die bereits viel sensibler auf den Klimawandel reagiert. Es gibt Hoffnung.
AB: Was würdest du dir für die Zukunft der Mode wünschen, damit sie zur »neuen Normalität« wird?
Salome: Produziert nur das, was wir brauchen, und prüft, ob das, was wir brauchen, nicht bereits verfügbar ist. Reparieren statt wegwerfen. Innovation und Kreativität können auch in einem nachhaltigen und sensiblen Umfeld existieren. Die »neue Normalität« sollte bedeuten, dass man mit Sorgfalt durch die Welt geht, und vor allem sollte »das neue Normale« für ALLE zugänglich sein. Denn Nachhaltigkeit ist für viele Teile der Bevölkerung einfach nicht bezahlbar.
Jake Ivill / Manchester, UK – @jakemivill
Adrian Bianco: Hey Jake, kannst du uns bitte ein wenig darüber erzählen, was du machst und welche Verbindung du zu Mode und Streetwear hast (als Verbraucher, im Job, als Sammler, Fan oder sonst irgendwie)?
Jake Ivill: Aktuell bin ich als Creative Director für Start-up-Marken hauptsächlich in der Mode- und Sportindustrie tätig und helfe derzeit beim Aufbau einer Marke für Fußballtraining. Meine Verbindung zur Streetwear begann im Alter von 13 Jahren, als ich als kleiner Graffiti-Künstler durch die Stadt lief, Air Max 90s in Vintage-Läden kaufte und meine Jeans zu einer Pinroll krempelte, noch bevor das ein Ding wurde, Pinrolls mit Asics und New Balance zu tragen. Von dort aus habe ich im Laufe der Jahre verschiedene Kulturen verfolgt und versucht, sie immer wieder durch eine Linse der Arbeiterklasse zu betrachten und meine Kumpels darin zu übertreffen, wie man am besten gekleidet ist. Eben die üblichen Sachen beim Erwachsenwerden, von da an habe ich mich als Kulturkolumnist beim Online-Magazin Sabukaru weidergefunden und bin immer noch besser gekleidet als alle meine Kumpels. Wir bringen es immer weiter voran.
AB: Wie hast du die ganze COVID-Situation erlebt? Wie waren die letzten Monate für dich?
Jake: Wenn ich ehrlich bin, habe ich in der COVID-Situation großes Glück gehabt. Ich nahm mir eine Auszeit, holte Schlaf nach, las eine Menge Bücher und trank viel Wein mit meiner Freundin. Jetzt bin ich wieder im Arbeitsmodus und warte nur noch darauf, dass Japan wieder britische Staatsbürger einreisen lässt und mein Leben wird wieder ziemlich normal sein. Wie ich bereits sagte, habe ich Glück, dass diese Zeit für mich relativ schmerzfrei vergangen ist. Aber ich bin immer noch solidarisch mit allen, die im Moment da draußen kämpfen, von COVID bis BLM, von Beirut bis Hongkong und Gott weiß, was uns da draußen sonst noch vorenthalten wird. Gemeinschaft ist Reichtum, wir stecken da alle gemeinsam drin.
AB: Und wie denkst du jetzt darüber?
Jake: Ich komme gut damit zurecht, ich bin ziemlich introvertiert, so dass es für mich großartig ist, von zu Hause aus zu arbeiten und keine Pläne mehr absagen zu müssen. Ich spiele Ghost of Tsushima und gehe auswärts essen, wenn ich kann, um meine Lieblingsrestaurants in Manchester zu unterstützen. Es werden sehr viele Dim Sums gegessen.
AB: Wie hast du den Lockdown erlebt oder erlebst ihn noch? Hast du etwas aus der Mode- und Lifestyle-Welt vermisst oder konntest du gut ohne neue Kleidung und Turnschuhe leben? Hast du tatsächlich einen kleinen Detox genossen?
Jake: Ich habe mehr gekauft während des Lockdowns, und es war recht angenehm, mehr Zeit für die Recherche und Suche nach Turnschuhen und Kleidung zu haben, die ich mir gewünscht habe. Ich bin ein großer Air Max 95-Fan, deshalb habe ich viel Zeit damit verbracht, ältere Paare aufzuspüren. Was ich vermisse, ist der Gemeinschaftsaspekt dieser Welt. Ich vermisse es, in eine Kneipe zu gehen und zu wissen, dass ich meine Kumpels sehen werde, oder etwas anderes als ein Paar ACG-Shorts mit Reebok Beatniks zu tragen.
AB: Jetzt, wo COVID hinter uns und noch weiterhin vor uns liegt, wie hat sich deine Wahrnehmung und die Bedeutung von Mode für dich persönlich verändert? Ist dir bewusster, was du kaufst, oder hast du aufgehört, etwas Bestimmtes zu kaufen?
Jake: Ja, also ich habe früher was total Schreckliches gemacht: Ich habe jeden Monat einen neuen Satz von 5 weißen T-Shirts gekauft, nur damit sie immer frisch waren und nicht ein bisschen veraltet aussahen. Aber das ist keine gute Art zu leben, oder? Also habe ich in ein paar anständige weiße T-Shirts von hoher Qualität investiert – Uniqlo Gang! Außerdem habe ich sie ein paar Tage am Stück getragen, anstatt sie nach einmaligem Tragen zu waschen. Es ist nichts Großes, aber es ist ein Anfang.
AB: Wie denkst du über den Rest des Marktes? Glaubst du, dass wir ab jetzt »besser«, nachhaltiger oder weniger konsumieren werden?
Jake: Ich denke schon, denn ich denke, für uns alle war das eine wirklich gute Chance zu sehen, wie die Welt aussieht, wenn wir einen Schritt zurück treten und sie einfach atmen lassen. Auch rechne ich damit, dass wir weniger Fast Fashion sehen werden, weil die Menschen allmählich die Gewohnheit ablegen, immer alles sofort haben zu wollen. Von meinem Standpunkt aus ist das alles positiv, ich hoffe, es geht weiter.
AB: Was würdest du dir für die Zukunft der Mode wünschen, damit sie zur »neuen Normalität« wird?
Jake: Ich hoffe, dass Nike die alte Air Max 95-Form mit den großen Luftblasen zurückbringt, aber Spaß beiseite, ich hoffe wirklich, dass wir sehen, dass Leute anfangen, langfristig ihren Stil zu finden, damit sie nicht ständig neue Kleidung kaufen. Ich sage nicht, dass wir Minimalisten werden müssen, aber sobald man weiß, wer man ist, fängt man an, eine Garderobe aus essentiellen Stücken zusammenzustellen, und das kann für diese Welt und für die Mode nur eine gute Sache sein. Macht einfach weiter so, glaubt an euch selbst, ruft eure Mütter an und verbreitet Liebe. Das ist alles, was hoffentlich zur neuen Normalität wird.
Kirill Saratovskiy / München – @goldkettenmanni
Adrian Bianco: Hey Kirill, kannst du uns bitte ein wenig darüber erzählen, was du machst und welche Verbindung du zu Mode und Streetwear hast (als Verbraucher, im Job, als Sammler, Fan oder sonst irgendwie)?
Kirill Saratovskiy: Hi! Mein Name ist Kirill, ich bin 26 Jahre alt. Hauptberuflich mache ich Marketing (Konzeption, Social Media und Projektmanagement) und nebenbei bin ich DJ und Türsteher im Münchner Nachtleben. Ich habe früher sehr viel im Streetwear-Einzelhandel gearbeitet und bin so zu Fashion gekommen. Seitdem interessiere ich mich für die Fashion-Bubble und könnte mir sehr gut vorstellen, mal in der Branche zu arbeiten. Als Sammler würde ich mich nicht bezeichnen, vielmehr als Konsument und Fan. Streetwear und Fashion gibt mir, neben der Musik, die Möglichkeit mich selbst zu entfalten.
AB: Wie hast du die ganze COVID-Situation erlebt? Wie waren die letzten Monate für dich?
Kirill: Für mich war und ist COVID immer noch eine harte Zeit. Mir sind alle wichtigen Gigs für 2020 weggebrochen. Außerdem hatte ich einen neuen festen Job in Aussicht, welcher ebenfalls nicht geklappt hat. Alles in allem ist 2020 ein sehr großer Struggle was Geld und Jobs angeht.
AB: Und wie denkst du jetzt darüber?
Kirill: Ehrlich gesagt hangele ich mich immer noch von Monat zu Monat und schaue wie ich meine Miete zahlen kann. Ich glaube zwar, dass es sehr langsam bergauf geht, aber bis man wieder in einer stabilen Lage ist, wird es noch sehr lange dauern.
AB: Wie hast du den Lockdown erlebt oder erlebst ihn noch? Hast du etwas aus der Mode- und Lifestyle-Welt vermisst oder konntest du gut ohne neue Kleidung und Turnschuhe leben? Hast du tatsächlich einen kleinen Detox genossen?
Kirill: Für mich war der Lockdown anfangs ungewohnt, aber man gewöhnt sich schnell dran. Es passiert sehr viel Selfcare, man hat mehr Zeit für Dinge, die man sonst vielleicht nicht so oft gemacht hat. In der Fashion- und Lifestylewelt habe ich eigentlich gar nichts vermisst. Ich war eher ganz froh, eine Zeit lang mal nicht mit dem neuesten Stuff bombardiert zu werden. Der Lockdown hat mir andere Themen zugänglicher gemacht. Sachen wie Kochen und Sport zum Beispiel. Ich musste mich fashionmäßig auch sehr zurückhalten wegen meiner eigenen finanziellen Lage, sodass ich tatsächlich fast nichts während des Lockdowns geshoppt habe. Dieser Detox hat mir natürlich auch sehr gutgetan, aber dennoch kann ich’s kaum erwarten wieder zu shoppen, haha.
AB: Jetzt, wo COVID hinter uns und noch weiterhin vor uns liegt, wie hat sich deine Wahrnehmung und die Bedeutung von Mode für dich persönlich verändert? Ist dir bewusster, was du kaufst, oder hast du aufgehört, etwas Bestimmtes zu kaufen?
Kirill: Ich war schon immer ein Fan von zeitloser Streetwear und Fashion. Ich mag es einfach nicht, von Saison zu Saison meinen Style und Kleiderschrank durchzuwechseln, nur weil manche Sachen »in« oder »out« sind. Für mich war das schon immer Quatsch. Natürlich kaufe ich ab und an Hype Stuff oder Vergängliches, aber das passiert sehr selten. Mein Kleiderschrank besteht eigentlich fast nur noch aus Sachen die ich Lifetime tragen könnte. Und COVID hat mir einfach nur noch mehr gezeigt, dass es wichtig ist, eine Beständigkeit im eigenen Style zu haben und somit selbst während einer Extremsituation wie einer globalen Pandemie nicht unbedingt shoppen zu müssen, nur weil man mal 24/7 zuhause bzw. online rumhängt. Deswegen, ja, ich bin durch COVID noch bewusster in meinen Entscheidungen geworden, ob ich gewisse Kleidungsstücke brauche oder nicht.
AB: Wie denkst du über den Rest des Marktes? Glaubst du, dass wir ab jetzt »besser«, nachhaltiger oder weniger konsumieren werden?
Kirill: Ich glaube nicht, dass Menschen wegen COVID »besser« konsumieren werden. Ich habe sowohl von Stores als auch aus meinem näheren und weiteren Umfeld mitbekommen, dass einfach nur viel mehr geshoppt wurde. Ich kann das nachvollziehen, Leute sitzen zuhause rum, es ist langweilig, man surft in Onlineshops, Sales hitten, also bestellt man. Vielleicht ist es eine Art von »ich belohne mich jetzt selbst dafür, dass ich die COVID Regeln einhalte« oder einfach nur klassisches Konsumverhalten. Ich glaube ich habe während COVID auf Instagram noch mehr »Latest Purchase« Posts gesehen als sonst. Immer mit einem Augenzwinkern im Bezug auf COVID-Shopping. Natürlich ändern ein paar Leute ihr Konsumverhalten nach dieser Extremsituation, aber erstens bleiben die meiner Meinung nach eine Minderheit und zweitens könnte ich mir vorstellen, dass die meisten das wegen eines finanziellen Notstands tun.
AB: Was würdest du dir für die Zukunft der Mode wünschen, damit sie zur »neuen Normalität« wird?
Kirill: Ich wünsche mir mehr Zeitlosigkeit. Mehr Blue Jeans und White Tees. Mehr graue Crewnecks ohne viel Schnickschnack. Mehr NY Yankees Fitted Caps, allgemein mehr New York irgendwie. Meine absolute Traum-Fashionwelt liegt irgendwo zwischen viel Internet Popkultur, Italo, Teddy Santis, Jacquemus und Adrian Bianco. Witzig, klassisch, real, verspielt und technisch. Leute sollen aufhören sich zu verkleiden. Es ist so einfach gut auszusehen, egal welches Budget man hat. Schaut mehr alte Filme, lasst euch davon inspirieren, it’s easy!
Maik Lojewski / Cologne – @maiklojewski
Adrian Bianco: Hey Maik, kannst du uns bitte ein wenig darüber erzählen, was du machst und welche Verbindung du zu Mode und Streetwear hast (als Verbraucher, im Job, als Sammler, Fan oder sonst irgendwie)?
Maik Lojewski: Hallo Sensei, hallo HHV und vielen Dank an euch beide für diese Gelegenheit. Mein Name ist Maik Lojewski, ich komme aus Köln und bin seit etwa 7 oder 8 Jahren irgendwie im Fashion- und Sneakerbusiness tätig. Ich habe vor einigen Jahren als Sammler angefangen, bis ich schließlich für einen lokalen Store arbeitete und an den Wochenenden auf Messen und Veranstaltungen aushalf. Später gab ich aus persönlichen Gründen meine Arbeit im sozialen Bereich auf und zog nach Köln, wo ich bei K’lekt Marketplace angefangen habe. Während ich bei der K’lektion in Frankfurt aushalf, begann ich wieder mit der Organisation von Veranstaltungen. Nachdem der Customer to Customer Marketplace dann abgeschafft wurde, fühlte ich, dass es an der Zeit war, weiterzumachen. Ich begann, an mehreren Projekten zu arbeiten, während ich versuchte, meine potenzielle Rolle in dieser erstaunlich weirden Branche herauszufinden. Ich beschloss, eine Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann im European Jazz Center in Köln zu machen und startete nebenbei mein eigenes Projekt @cellardoor_markets mit einer Hauptveranstaltungsreihe, dem Another Man’s Treasure, der am einfachsten als Second-Hand- und Vintage-Flohmarkt umschrieben werden kann. Das jüngste und bisher größte Projekt war eine komplette Kampagne für Reebok, in deren Mittelpunkt die AZ79 und Classic Leather Legacy mit Lugatti & 9ine standen. Ich führe auch verschiedene Veranstaltungen für unterschiedliche Kunden durch, Content-Produktionen, meist mit @pangea, @kane oder @sixnine. Außerdem arbeite ich seit fast einem Jahr für den Acribik Concept Store in Köln, wo ich mich um Marketing und veranstaltungsbezogene Dinge kümmere. Ich konsumiere auch Kleidung (ich habe eine große Liebe für Hosen und Jacken), Schuhe, Filme und Zeitschriften, Bücher, zu viel Social Media und eine überdurchschnittlich große Menge an Erfrischungsgetränken.
AB: Wie hast du die ganze COVID-Situation erlebt? Wie waren die letzten Monate für dich?
Maik: Ich habe im Januar eine neue Beziehung begonnen und hatte daher viel Zeit, mich darauf zu konzentrieren, denn es gab buchstäblich keine Arbeit und nichts zu tun. Ich fing an, viele Dinge zu tun, die ich lange Zeit oder noch nie getan hatte, und erfreute mich wieder an Dingen, die ich fast vergessen hatte. Ich gewann eine neue Perspektive auf viele Aspekte des Lebens und hatte Zeit, das Leben drinnen zu genießen, während ich mich unterhielt oder Bücher las, nachzudenken und Pläne für die Zukunft zu schmieden. Mich an das neue Leben anzupassen. Glücklicherweise erhielt ich eine staatliche Corona-Hilfe und hatte noch etwas Geld von früheren Jobs übrig. Ich habe nicht viel gekauft und meinen faulen Arsch hochgekriegt, um meinen Schrank auszusortieren. Ich habe ein paar Täusche gemacht und ein paar Paypal Funds gesammelt, um andere Sachen zu kaufen.
AB: Und wie denkst du jetzt darüber?
Maik: Ich schätze die Arbeit und die freie Natur in einem ganz neuen Ausmaß. Es kamen viele neue Aufträge hinzu und es ergaben sich neue Zukunftsperspektiven. Abgesehen davon, dass die gesamte Welt den Bach runtergeht, kann ich sagen, dass ich glücklicher bin als seit einem Jahrzehnt.
AB: Wie hast du den Lockdown erlebt oder erlebst ihn noch? Hast du etwas aus der Mode- und Lifestyle-Welt vermisst oder konntest du gut ohne neue Kleidung und Turnschuhe leben? Hast du tatsächlich einen kleinen Detox genossen?
Maik: Ich vermisse Veranstaltungen und geselliges Zusammensein sehr, auch Reisen zu verschiedenen Anlässen. Was die Kleidung anbelangt, so habe ich keinen richtigen Detox erlebt, ich habe viele Second-Hand-Klamotten aus dem Internet gekauft. Ich glaube, viele Leute haben ihre Regale und Schränke durchstöbert und etwas Platz geschaffen. Ich denke, es ist gut, die Kleidungsstücke innerhalb des Kreislaufes von Kaufen und Verkaufen zu halten. Nach dem Motto: Sobald du etwas nicht mehr trägst, gib es weiter. Ich liebe den ganzen Prozess des Kaufens und Verkaufens, aber auch, verschiedene Stücke in der Hand zu haben, auch wenn sie mir am Ende oft nicht passen oder nicht sehr gut stehen. Vor einiger Zeit habe ich angefangen, persönliche Stücke zu fotografieren, um sie über @curatedbycellardoor zu verkaufen. Ich liebe Second-Hand-Läden und Instagram-Läden.
AB: Jetzt, wo COVID hinter uns und noch weiterhin vor uns liegt, wie hat sich deine Wahrnehmung und die Bedeutung von Mode für dich persönlich verändert? Ist dir bewusster, was du kaufst, oder hast du aufgehört, etwas Bestimmtes zu kaufen?
Maik: Ich habe vor Jahren aufgehört, Fast-Fashion-Produkte zu konsumieren, und vor etwa zwei Jahren wurde ich mir meines eigenen Konsums bewusster, und heute kaufe ich nur noch selten etwas auf dem ersten Markt. Ich mache aber immer noch zu viele Ausnahmen, denn wenn ich etwas wirklich will, finde ich meistens einen Weg, es in die Hände zu bekommen, oder ich gebe es einfach weiter. Es gibt so viel schönes Zeug da draußen, dass es meistens nicht nötig ist, etwas zum Resellen zu kaufen. Der Markt ist groß und vielfältig – dein Kleiderschrank sollte der zweite sein, nicht der erste.
AB: Wie denkst du über den Rest des Marktes? Glaubst du, dass wir ab jetzt »besser«, nachhaltiger oder weniger konsumieren werden?
Maik: Meiner Meinung nach können wir nur hoffen, dass die gesamte Branche und der Rest des globalen Marktes sich an die aktuelle Zeit und die wachsende globale Krise in all ihren Erscheinungsformen anpassen wird.
AB: Was würdest du dir für die Zukunft der Mode wünschen, damit sie zur »neuen Normalität« wird?
Maik: Ein stärkerer Fokus auf Handwerkskunst und Qualität, Nachhaltigkeit und Intention sowie weniger Kollektionen wären schön als eine Art neue Normalität in der Mode. Der An- und Verkauf von Second-Hand-Kleidung sollte sein Stigma als »Kleidung für arme Leute« vollständig verlieren, und Kinder sollten dafür nicht gemobbt werden. Auch das Fehlen von Fast-Fashion-Produkten und -Ketten sollte zur Normalität werden. Und es ist an der Zeit, die Polizisten zu verhaften, die Breonna Taylor getötet haben!
Visual Content: V.Raeter / Salome Schmuck / Jake Ivill / Kirill Saratovskiy / Maik Lojewski