Butter Goods x Charles Mingus
»Für mich ist Designen wie Sampling. Du nimmst etwas aus der Vergangenheit und erschaffst etwas Neues, in der Hoffnung, einer neuen Generation von Kids eine Welt zu eröffnen, die sie nie zuvor gesehen hat.« So erklärte uns Garth Mariano, Mitbegründer des australischen Labels Butter Goods, seine Herangehensweise an die Gestaltung neuer Kollektionen. Skateboarding-Einflüsse treffen auf Leidenschaft für gute Musik. Es ist also glasklar, dass Butter Goods zu unseren Lieblingsmarken gehört, denn − muss man das echt noch erklären? – bei uns rennen sie mit genau diesem Konzept offene Türen ein.
In dieser Saison widmet sich Butter Goods einem der Allergrößten: Charles Mingus. Ihm zu Ehren erscheint jetzt eine Tribute Kollektion, entstanden in Zusammenarbeit mit dem Nachlass des Künstlers und der Jazz Workshop Inc. Charles Mingus war eine Naturgewalt in der Welt des Jazz. Als virtuoser Kontrabassist, versierter Pianist, Bandleader und Komponist hat er mit Größen wie Miles Davis, Duke Ellington und Charlie Parker zusammengearbeitet. Mit über 100 Alben und mehr als 300 Kompositionen hat Mingus eines der größten musikalischen Werke in den Vereinigten Staaten hinterlassen, das noch immer einen unermesslichen Einfluss auf die moderne Musik hat.
Ein richtiger Deep Dive in das Schaffen und die Person Charles Mingus würde hier absolut den Rahmen sprengen, daher dippen wir nur ein wenig hinein. Aber auch das ist ein nicht zu unterschätzendes Vorhaben, weshalb wir keinen geringeren als Gereon Klug, Autor, Journalist, DJ und Institution in der Hamburger Musikszene, gefragt haben, ob er für uns nicht ein paar Worte über Charles Mingus schreiben könnte. Gereons »Acht Gründe für Charles Mingus« bieten einen guten Einstieg und sind liebevoll geprägt von seiner Bewunderung für diesen Ausnahmekünstler.
Den Soundtrack für diese bereichernde Lektüre liefert übrigens der gute Dexter, der für uns eine Mingus Tribute Playlist kuratiert hat, die ihr euch hier anhören könnt (müsst):
journal.wav No 7 – Mingus Tribute by Dexter
Listen, learn & appreciate the genius!
Acht Gründe für Charles Mingus
Text: Gereon Klug
Sein Leben
Einfach hatte Charles Mingus es nie. Als schwarzes Kind in Watts, Los Angeles aufgewachsen, mit indigenen, britischen und afroamerikanischen Wurzeln, wurde er schon früh beschimpft und von allen wenig akzeptiert. Trotz zeitweiser großer Erfolge als Musiker fuhr sein Leben mit ihm Achterbahn. Er hatte Schulden, es gab eine Wohnungsräumung und eine große Pleite mit einem Schulprojekt. Aber auch fantastische Touren in Europa und Amerika, größte Anerkennung seiner Kunst in der Jazzszene und Auszeichnungen. Woran er zeitlebens litt waren zudem einige Krankheiten, nicht nur psychischer Art, die keine Wunderheilerin lindern konnte. Sein Muskelschwund führte ihn letztlich in den Rollstuhl. Mit 57 starb er an einem Herzinfarkt. Seine Asche streute seine Frau in den Ganges, das hatte sich Mingus gewünscht. Er zahlte leider früh den Preis eines zerrissenen Genies mit enormer Power, den die Nachwelt so viel toller und glamouröser und aufregender findet als die Zeitgenossen. Die Briefmarke zu seinen Ehren erschien natürlich posthum.
Sein Instrument
Charles Mingus war Kontrabassist. Er lernte das physisch anspruchsvolle Instrument, nachdem er mit 8 Jahren Cello lernte, nach Gehör und nicht nach Noten. Als Bassist ist man ja eher massierendes Rückgrat einer Band, weniger eine Frontsau wie die ganzen Sänger, Saxofonisten und Trompeter oder Gitarristen, die einem ihre Soli ins Gesicht meißeln. Wahrscheinlich ist Charles Mingus deshalb nicht so bekannt wie die anderen Jazz-Größen von John Coltrane oder Nina Simone über Miles Davis, Herbie Hancock und Sun Ra. Als Bassist aber ist er DIE Koryphäe im Jazz, weil er zum einen beides beherrschte, das aggressiv Treibende wie das sanft liebend Gestrichene. Aber alles spielte er immer mit unvergleichlichem Biss. Flachheiten und Kompromisse waren eher nicht sein Ding. Man hört es.
Seine Musik
Die Musik von Charles Mingus ist nicht so ganz einfach, sie ist sogar ziemlich oft recht fordernd. Entweder kennt man sich richtig gut aus und hat Ohren, die noch genau hören können. Oder – und so wird es den meisten gehen – man ist angesichts der vielen Werke erstmal baff, was dieser Mann alles gemacht hat und hat Probleme, es zu schnallen. Was soll das für Musik sein? Bebop? Hardbop? Gospeljazz? Moderner freier Jazz? Ja, genau. Das alles. Dabei machen es einem die Melodien nicht unbedingt leichter, denn die Songs von Charles Mingus haben oft wenig wiedererkennbare Schemata, an die man sich klammern könnte und taugen selten als backgroundige Atmo-Tapete. Besser ist es, sich seinen Stücken einzeln konzentriert zu widmen. Man wird reich belohnt! Denn die Mingus-Songs sind emotional intensiv, aufregend und machen selbst in den experimentelleren Passagen Spaß, weil jederzeit zu hören ist, wie lebendig es bei den Aufnahmen zuging. Das ist wie bei Kindern, für die Mingus forderte: »Lasst sie Live-Musik hören! Keinen Lärm! Let my children hear music!«
Sein Gequatsche
»Mann, dieser Idiot konnte nie den Mund halten! Einmal redete er über tiefsinnigen Scheiß, aber dann wieder ließ er Sachen los, die leichter waren als der Pimmel von einer Fliege.« Das sagte Miles Davis über Charles Mingus, dessen Speaking legendär war. Seinen Musikern legte er keine Noten vor, sondern spielte oder sang ihnen seine Kompositionen vor. »So kann ich den Musikern mehr individuelle Freiheit im Spiel der Sätze und Soli gewähren.« Ein Musterbeispiel für (besonders im afroamerikanischen Kulturkontext gepflegte) oral culture, die eben keine Hierarchien wie die literature culture aufmacht, sondern auf das Prinzip Austausch setzt. Selbst mit seinem Instrument sprach Mingus viel. Er beschimpfte es, lobte seinen Bass und sah ihn auch mal gleichzeitig als Feind wie als Freund: »You son of a bitch, fuck you, dirty motherfucker, I love you truly!« Kam alles vor.
Seine Songs
Charles Mingus hat einen Song, den dutzende Jazz- und Folkmusiker coverten, über die Kopfbedeckung eines Saxofonisten geschrieben: »Pork Pie Hat«. Er hat viele politische Songs mit kämpferischer Agenda verfasst: »Fables of Faubus« oder »Haitian Fight Song«. Er schrieb auch Balletmusik (»The Black Saint and the Sinner Lady«) und einige Liebeslieder (»I X love«). Manchmal hört man ihn reden, mal ergänzen Sounds von den Riots auf den Straßen die Musik, geshoutet wird sehr gern und oft von ihm und anderen im Hintergrund. Es gibt lange Suiten mit wunderschönen, aber komplizierten Bläsersätzen, zärtlichstes Zeug und wüste, irre, alles wegblasende Song-Poeme. Die Bandbreite ist also enorm. Charles Mingus hat erstaunlicherweise schon früh Avantgardisten studiert und speiste seine Musik nicht nur aus altem Blues und Gospel. Manchmal mussten es gleich sechs Trompeter sein, aber oft reichte ihm auch die klassische Fünferbesetzung. Die Mingus-Interpretationen von Klassikern wie »Summertime« oder »Mood Indigo« sind großartig und einige seiner Songs sind ebenfalls in den allgemeinen Kanon übergegangen. Wie gesagt: Bei Mingus gibt es viel zu entdecken. Man sollte es mit Zeit und einer guten Liebe zum Detail machen.
Seine Musiker
Junge Musiker förderte Charles Mingus wie kein zweiter. Seine Workshops strahlten nur so vor anti-individualistischer Wärme. Anstatt wie die Diktatoren Miles Davis oder James Brown seine Formationen nach dem Prinzip »Survival of the fittest« auszusuchen, hatte Mingus großen Sinn für Kollektivität. Ihn interessierte vor allem Jazz im Zusammenspiel, im mutigen Sozialen. Dabei war ein Musiker für ihn erst dann richtig gut, wenn er neben seiner schnellen Technik auch emotional schön (oder hart) spielen konnte. Sie mussten swingen UND an Weiterentwicklung und Erfindungen gleichermaßen interessiert sein. Als Bandleader war Mingus hochangesehen. Seine Cats reden von ihm noch heute in höchsten Tönen.
Seine Agenda
Charles Mingus war nicht nur der »Angry Man of Jazz«, weil er mal einen Bass auf der Bühne zertrümmerte oder sein Publikum beschimpfte oder einem Veranstalter die Begrüßungsblumen um die Ohren haute, sondern weil er seinen Kampf gegen Rassismus meist mit ziemlichem Zorn und in Rage betrieb. Gerade im Jazzbereich gab es ja auch in den 50ern und 60ern noch immense Ungerechtigkeiten nur aufgrund von Herkunft und Hautfarbe der Musiker. Mingus zürnte, dass diese Herren da oben sich millionenfach bereichern, »indem sie die berühmtesten Jazzer in ihre armseligen Gräber schicken, die für sie der einzige Ausweg aus ihrer unsichtbaren Gefangenschaft sind.« Kanalisieren konnte er seine Wut oft nicht, er war laut. Und schrieb Songs über Vorurteile und Verfolgung, organisierte Festivals ohne großkopferte Veranstalter und war sein Leben lang unbequem für die Plattenfirmen, denen er zutiefst (und oft zurecht) misstraute.
Sein Buch
Mehr als zwanzig Jahre hat Charles Mingus an seiner Autobiographie geschrieben. Mehr als tausend vollgeschriebene Seiten und sehr viele besprochene Tonbänder gingen »Beneath the Underdog« voraus, bis es 1971 ein Verlag nahm. Wen wundert es: Der Stoff ist eher Bukowski als Goethe. Es sind wüste Fick-, Drogen- und Pimpgeschichten neben unfassbar introvertierten ideenreichen Psychologien über sich selbst drin – alles definitiv einer anderen Idee verpflichtet als eine öde Jazzerbiographie zu verfassen. Mingus modelliert sich seine Biographie im Stile eines Big Bad Motherfuckers und Gangsters mit Politagenda. Sein Alter Ego heißt tatsächlich Bones, ein erfolgreicher und skupelloser Zuhälter, der auch mal in einer Nacht 23 mexikanische Huren glücklich macht. So sollte man ihn sehen? Ja, auch so! Und als Heiligen, Revolutionär und Irren.
Die Butter Goods x Charles Mingus Kollektion ist ab dem 13. Februar bei HHV erhältlich:
Butter Goods x Charles Mingus / Jazz Workshop Inc. | HHV
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