»Noasobi« und der Reichtum der Natur – Ein Gespräch mit Lisa Yamai von Snow Peak
Text & Interview: Adrian Bianco / Peter Obradovic
Die Frühjahrs- und Sommersaison dieses Jahres hat viele Bilder in unsere Instagram Timeline gespült, die Menschen auf Wanderungen, in den Bergen oder in der freien Natur zeigen. In diesen Zeiten, in denen eher das Zuhausebleiben und weniger das Reisen durch andere Länder an der Tagesordnung ist, wurden insbesondere Nationalparks und Nationalreservoirs für viele Menschen zu einer willkommenen Alternative. Nicht selten konnte man Menschen mit Outdoor-Ausrüstung sehen, die aussahen, als seien sie schon seit Jahrhunderten im Game. Während die Tatsache, dass die nahe gelegene Natur im aktuellen Jahr wesentlich voller als sonst war, vielleicht daran liegt, dass wir mitten in einer Pandemie leben, ist die Vorliebe für Outdoorkleidung schon seit geraumer Zeit im Aufwind.
Die Begeisterung für Outdoor-Ausrüstung in der Modewelt ist aber keineswegs eine Neuheit. Daunenjacken, Fleece und Wanderschuhe sind seit langem vertraute Anblicke in den Herbst-Winter-Kollektionen vieler Modelabels. Neue Wellen dieser Bewegung brachten Hardshell-Jacken, wasserdichte Sneakers und technische Cross-Body-Bags, um nur einige berühmte Vertreter zu nennen. Letztendlich ist es jetzt genauso wahrscheinlich, dass auf den Runways der Pariser Fashion Week eine GORE-TEX Hardshell-Jacke zu sehen ist wie in den schneebedeckten Schweizer Alpen.
Rund um den Globus versuchen alle Marken, dem Hype gerecht zu werden und neue Ideen zu entwickeln, um Elemente aus dem Leben in der Natur in ihre Kollektionen zu integrieren. Die Funktion eines Kleidungsstücks erscheint nun sogar in Fashionkreisen wichtiger als je zuvor. Wer wünscht sich nicht eine Jacke, die an einem Regentag trocken hält, oder eine Tasche, die zur Ausrüstung eines durchschnittlichen Überlebenskämpfers passt?
Unzählige Kooperationen und neu erfundene eigene Sonderkollektionen zeigen, welches Potenzial Modeunternehmen in dem Markt für Outdoorkleidung und -ausrüstung sehen − je technischer und exklusiver, desto besser. In einem globalisierten Markt verbreiten sich Trends schnell, und auch die Unternehmen schlafen nicht.
Aber wenn es ein Land gibt, das die Liebe zur Natur lange vor dem Trend und des Hypes gefunden hat, dann ist das Japan. Die einzigartige Art und Weise, elegante Ästhetik mit dem Outdoor-Leben, der Outdoorkleidung, ja mit allem, was das Leben in der Natur angeht, zu verbinden, scheint tief in die DNA dieser Kultur eingewoben zu sein. Mehrere große japanische Marken sind Vordenker auf dem Gebiet der Outdoor-Mode, und die Japaner nehmen Outdoor-Aktivitäten sehr ernst. Japan hat seinen ganz eigenen Weg gefunden, Stadt- und Outdoorkleidung harmonisch zu kombinieren – und das schon seit langer Zeit. Ein perfektes Beispiel für diese Fusion von Outdoorkleidung und urbanem minimalistischem Design ist Snow Peak. Eine Marke mit einer langen Geschichte, die es zugleich immer wieder schafft, sich selbst neu zu erfinden.
Die geologischen Eigenschaften Japans bringen es mit sich, dass die Menschen im Grunde überall in der Nähe von Bergen leben. Auch die Stadt Jingo in der Präfektur Niigata ist von Bergen umgeben. Eine einstündige Fahrt mit dem Hochgeschwindigkeitszug von Tokio entfernt, ist die Region berühmt für ihre Wintersportgebiete. Die vielfältige Umwelt erzeugt für die hier geborenen und aufgewachsenen Menschen eine starke Verbindung zur Natur selbst.
Einer von ihnen war Yukio Yamai, ein Bergsteiger, der irgendwann mit der damals auf dem Markt erhältlichen Ausrüstung nicht mehr zufrieden war. Im Jahr 1958, im Alter von 26 Jahren, gründete er aus dieser Unzufriedenheit heraus seine eigene Marke für hochwertige Kletter- und Bergsteigerausrüstung. Snow Peak war geboren (zunächst unter dem Namen »Yamai Shoten«). Er begann damit, seine eigenen Haken und Steigeisen aus Titan, rostfreiem Stahl und Aluminium zu entwerfen und zu verkaufen. Der Erfolg war bereits vorprogrammiert, da die Region für ihren professionellen Metallbau bekannt ist. Für Freunde entwarf Yukio Yamai außerdem maßgefertigte Kletterausrüstung. Wesentlich für das Erscheinungsbild von Snow Peak war und ist die Inspiration, die von ihrem Ursprungsort, der Region Chūetsu, ausgeht. Dort befindet sich auch heute noch der Hauptsitz des Familienunternehmens, darunter öffentliche Campingplätze und mehrere Gebäude aus Beton und Glas.
Ab 1980 übernahm Yamais Sohn Tohru Yamai die Leitung des Unternehmens, mit dem Ziel, Snow Peak weltweit als qualitativ hochwertige, innovative und modische Marke zu etablieren, die Menschen auf der ganzen Welt dazu inspiriert, die Schönheit der Natur und Aktivitäten in der freien Natur zu genießen. Er brachte Snow Peak schließlich 1999 in die USA, wo die Marke ursprünglich in der Rucksackindustrie für ultraleichte Titanprodukte bekannt wurde. Seitdem wurde das Sortiment um die Bereiche Auto, Camping, Bekleidung, Heim und Lifestyle erweitert.
In seiner 60-jährigen Markengeschichte hat Snow Peak immer den Austausch mit seinen Nutzern geschätzt. Das veranlasste sie dazu, 1995 eine jährliche Veranstaltung mit dem Namen »Snow Peak Way Campout« ins Leben zu rufen. Eine Möglichkeit für gleichgesinnte Outdoor-Enthusiasten, ihre Erfahrungen und Geschichten auszutauschen. Direkte Begegnungen mit den Kunden gaben der Marke stetig neuen Input hinsichtlich ihrer Bedürfnisse.
Mit der Einführung der Snow Peak Apparel Line im Jahr 2014 brachte die nächste Generation des Yamai-Vermächtnisses frischen Wind in das Unternehmen: Yukio Yamais Enkelin Lisa Yamai hebt Snow Peak mit einer Apparel Line, die sich durch ihre makellose Ästhetik und ihr intelligentes, funktionelles Design auszeichnet, auf das nächste Level. Ihre Unisex-Designphilosophie zollt alten traditionellen Kleidungsstücken wie Kimonos oder indigo-gefärbter Arbeitskleidung Respekt, kreiert zugleich aber Kleidung, die modern und für die freie Natur geeignet ist.

Als dritte Generation von Yamais hat Lisa Yamai ihre eigene Vision davon, welchen Weg die Marke in den folgenden Jahren einschlagen soll. Während die Leidenschaft ihres Großvaters im Bergsteigen lag und die ihres Vaters im Camping, schlägt ihr Herz für Bekleidung. Ihre Arbeit im Design ist maßgeblich an der Veränderung der Marke beteiligt. So findet man Snow Peak nicht nur in den Niigata-Bergen, sondern auch auf den Straßen von Metropolen wie Tokio oder New York City und Berlin. Mit echten, tiefen Wurzeln im Bergsteigen und Campen hat sich Snow Peak durch dein Einfluss von Lisa Yamai zu einer perfekten Symbiose aus authentischer Outdoortauglichkeit und eleganter urbaner Ästhetik entwickelt.
In ihrer Position als CEO von Snow Peak ist Lisa Yamai ein Vorbild, nicht nur für viele Frauen in Japan, einem Land, das immer noch hauptsächlich von Männern dominiert wird – sondern auf der ganzen Welt. Sie gestaltet die Zukunft eines Familienunternehmens mit, das mit über 500 Mitarbeitern weltweit zu den Marken gehört, die mit ihren Designs und Produkten den Ton angeben. Lisa Yamai und ihre Apparel Line bringen Snow Peak in eine neue Richtung, die bereits jetzt den Standard setzt. Behaltet Snow Peak lieber im Auge, denn diese Marke eifert dem Trend nicht hinterher, sie hat ihn selbst kreiert.
Um ein besseres Verständnis von der Snow Peak Philosophie zu bekommen, durften wir Lisa Yamai einige Fragen stellen, darüber wie Outdoor-Ausrüstung in Mode kommen kann, ihre Rolle im Yamai-Vermächtnis und wie wir alle etwas vom japanischen Prinzip »Noasobi« lernen könnten: Die Kunst, mit der Natur zu koexistieren und dabei die eigene Natur zu ehren.
Adrian Bianco: Liebe Lisa Yamai, vielen Dank für deine Zeit und die Beantwortung unserer Fragen. Als Erstes eine einfache Frage: Wie würdest du die Philosophie von Snow Peak jemandem beschreiben, der gerade erst begonnen hat, sich über die Marke zu informieren?
Lisa Yamai: Seit der Gründung von Snow Peak stellen wir Produkte mit der Einstellung her, »das zu machen, was wir wollen«. Als Nutzer haben wir das geschaffen, was wir wirklich wollen, haben innovative Produkte kreiert und neue Unternehmen zur Schaffung neuer Märkte gegründet. Auch heute noch, 60 Jahre nach unserer Gründung, werden alle Designs und Produktentwicklungen von unseren eigenen Mitarbeitern ausgeführt, und wir nehmen bei allem immer die Perspektive eines Campers ein.
Das Head Office befindet sich auf einem weitläufigen Campingplatz, und viele unserer Mitarbeiter campen dort häufig. Während unserer Arbeit prüfen wir immer, welche Wünsche und Bedürfnisse diese Nutzer beim Campen haben könnten. Darüber hinaus entstehen während des eigentlichen Campens neue Ideen, Produkte werden getestet und letztlich schaffen es nur die in die Produktion, die die hohen Standards der »permanenten Garantie« erfüllen.
AB: Snow Peak ist einer der Pioniere der Outdoor-Mode. Wie inspirieren eure Designs Menschen dazu, nach draußen zu gehen und gleichzeitig modisch zu sein?
LY: Es funktioniert von der Stadt in die Natur, zum Zelten, zum Schlafen in der Nacht bis zum Aufwachen am Morgen und zur Rückkehr in die Stadt. Unsere Produkte sind funktionell und können auch in einer rauen natürlichen Umgebung bequem getragen werden. Sie haben eine natürliche Farbe, die gut zur Stadt passt. Selbst Stadtmenschen, die noch nie gezeltet haben, können den Wunsch verspüren, in die Natur zu gehen. Dafür ist die Outdoor-Mode, die Snow Peak bietet. Als ich als College-Studentin mit meinen Freunden zelten ging, gab es keine Outdoorkleidung, die ich beim Zelten tragen wollte, weil ich damals den »Japan Mode Style« mochte. Das damalige Gefühl »Ich möchte mit Kleidung campen gehen, die ich wirklich gerne trage« ist der Ursprung für meine Designs.
AB: Du stammst aus einer Familie mit starkem Outdoor-Enthusiasmus. Was sind deine wesentlichen Erwartungen an Kleidung für den Alltag und für das Outdoor-Leben?
LY: Indem man durch Kleidung eine Verbindung zur Natur herstellt, wird auch das Leben im Freien bequemer und das ganze Leben wird reichhaltiger. Das städtische Leben mit der Natur verbinden, das ist es, was ich mit Snow Peak Apparel erreichen wollte, womit ich 2014 begonnen habe. Ich denke, es ist notwendig, dass die Menschen, die in einer Stadt leben, sich mit der Natur verbinden. Das Konzept der urbanen Outdoor Wear, also Outdoorkleidung, die auch als Streetwear verwendet werden kann, ist keine temporäre Bewegung, sondern eine große Brücke, die den natürlich orientierten Lebensstil, den Snow Peak bis jetzt realisiert hat, in das tägliche Leben integrieren kann.
AB: Der Gedanke des Zusammenseins und der Familie scheint für Snow Peak und auch für viele Aktivitäten in der freien Natur wie Camping oder Wandern eine wichtige Rolle zu spielen. Wie, würdest du sagen, inspirieren diese Werte deine Entwürfe? Denkst du beim Entwerfen an den Austausch zwischen Menschen?
LY: In der heutigen hochzivilisierten Gesellschaft ist es schwierig, die Sinne, also die fünf Sinne und das Wilde zu spüren, die in der menschlichen Natur verankert sind. Ich glaube, dass selbst in dieser modernen Gesellschaft Menschen, die mit der Natur vertraut sind, sich oft an dieses Gefühl erinnern. Es wäre großartig, wenn wir mehr Menschen die Möglichkeit geben könnten, über die Bedeutung von echtem Reichtum nachzudenken, indem wir ihre Verbindung zur Natur und zu den Menschen durch das von uns vorgelebte »Noasobi« (Outdoor-Aktivitäten auf Japanisch) stärken.
AB: War es schon immer in Stein gemeißelt, dass du eines Tages für Snow Peak arbeiten wirst, oder wie hat das alles angefangen?
LY: Meine Eltern haben mir nie gesagt, ich solle für Snow Peak arbeiten, und ich habe nie daran gedacht, für meinen Vater zu arbeiten, als ich noch ein Kind war. Ich wollte Modedesignerin werden. Nach meinem Hochschulabschluss bekam ich einen Job bei einer Marke in Tokio, die eine der großen Marken der Pariser Fashion Week war. Als Assistentin eines Designers begann ich meine Karriere in der Modebranche. Nach und nach kamen mir jedoch große Zweifel an der Realität der Branche und der Struktur dieses Business. Inmitten dieser Sorgen beschloss ich dann, meinen Vater dazu zu konsultieren. Der Rat meines Vaters lautete: »Wie wäre es mit Outdoor-Kleidung, die ihren Trägern ein neues Gefühl von Ganzheitlichkeit vermittelt? Mag sein, dass es keine unmittelbare Antwort für dich gibt, aber vielleicht findest du etwas in Snow Peak.«
Dieser Rat inspirierte mich dazu, meinen Job zu kündigen und darüber nachzudenken, was Mode für mich ist, und dabei wurde mir klar, dass mich die Kultur jenseits der Mode fasziniert. Und ich wollte einen Job machen, bei dem ich Kultur durch Kleidung erschaffe. Aber es gibt viele Leute, die mit Kunst und Musik vertrauter sind, als ich. Ich fragte mich also »Was ist die Kultur, die nur ich kreieren kann?« und kam auf die Outdoorkultur, die mich von klein auf durchdringt. Und ich erzählte meinen Eltern übrigens nicht, dass ich meinen Lebenslauf an Snow Peak geschickt hatte. Ich hatte ein Vorstellungsgespräch und habe den gleichen Einstellungsprozess durchlaufen wie alle anderen Beschäftigten des Unternehmens.
Mehr über Lisa Yamai gibt es außerdem hier zu lesen: Get To Know: Lisa Yamai – Snow Peak
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Visual Content: Portrait Lisa Yamai & AW 2020 Lookbook – Snow Peak